© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

DVD: Spoiler
Einfrieren
Harald Harzheim

Was ist das größte Kompliment für einen Genre-Film? Ihm die Transzendierung seines Genres zu attestieren – wenn zum Beispiel ein Science-fiction-Film uns so gegenwärtig wird, daß wir sein irreales Zukunftsszenario vergessen. Wenn er uns hier und jetzt packt, wenn seine fiktionale Welt den perfekten Spiegel zeitloser Sehnsüchte und Ängste abgibt: so wie in Cameron Von Daackes Film „Spoiler“ (1998).

Dessen Protagonist, Roger Mason (Gary Daniels), bewohnt einen Zukunftsstaat, der über brutale Sicherheitstechnik verfügt. Unschuldig eingeknastet, riskiert Mason den Ausbruch. Er möchte noch einmal seine zwölfjährige Tochter sehen. Von den Sicherheitskräften eingefangen, wird er – zur Strafe für die Flucht – auf 25 Jahre eingefroren. Ein Vierteljahrhundert später wieder „aufgetaut“, ist er physisch nicht gealtert, wohl aber die Außenwelt: Seine Frau, so sagt man ihm, liegt im Sterben. Seine Tochter zählt jetzt 37 Jahre. Erneut probiert Mason die Flucht, wird wieder eingefangen und diesmal für 37 Jahre gefrostet.

Beim nächsten Erwachen ist (fast) die gesamte Verwandtschaft tot, ein Foto der Tochter zeigt sie als Greisin. Es folgt der letzte Ausbruch. Gejagt von der Polizei, dringt der „Spoiler“ ins Krankenhaus, wo die sterbende Tochter ihren (immer noch jungen) Vater wiederkennt. Aber der Alptraum ist noch nicht vorbei …

„Spoiler“ ist ein Film, der in allen Wunden wühlt: in dem schmerzhaften Geheimnis der Vergänglichkeit, der unstillbaren Trauer um ein ungelebtes Leben. Er zeigt die soziopathische Selbstgefälligkeit des Richters, der den Angeklagten ohne Skrupel in temporäre Tode schickt: Wer sich im Recht glaubt, glaubt an sein Recht auf Grausamkeit. Selbst im Zukunftsstaat noch mit traditioneller Juristenperücke versehen, verkörpert dieser Richter den „Geist als Widersacher der Seele” (Ludwig Klages) und des  – mit ihr einheitlich verbundenen – Körpers. Der straft den Körper (des anderen) stellvertretend für den eigenen Un-Geist. Nicht besser: jene gutsituierte Gastfamilie, die den Flüchtigen mit bestem Gewissen denunziert.

Jenseits vom Unrecht, das Mason erleidet, bestreitet „Spoiler“ die Legitimität körperlicher Repressalien: eine Erkenntnis, die im Zeitalter von Todesstrafe und Rehabilitierung der Folter nicht nur im Herstellungsland USA von Bedeutung ist. Von Daackes Film versetzt den Zuschauer gleichermaßen in Spannung und Wut, ist politische und existentielle Klage in einem, ein Werk unter dem Gefrierpunkt.

DVD: Spoiler – Verdammt im Eis. Epix, Berlin 2010, Laufzeit etwa 92 Minuten

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