© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Einwurf: Notizen zur Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika, Folge zwei
450 Minuten Länderspielerfahrung
Arthur Hiller

Wann immer die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in den letzten Jahrzehnten bei Turnieren enttäuschte, war dies stets am allerwenigsten dem Mann im Tor anzukreiden. Der Nimbus, daß Deutschland, komme, was wolle, wenigstens auf der Nummer eins herausragend besetzt ist, konnte durch die Debakel des Teams nicht angekratzt werden.

In der Regel war eine kaum geringere Qualität sogar dem zweiten Torwart im Turnierkader nachzusagen, und sein Zurückstehen in der Rangfolge ergab sich eher aus einer ungeschriebenen und erst durch Jürgen Klinsmann außer Kraft gesetzten archaischen Regel, daß der einmal Auserkorene bleibt, bis er selbst seinen Abtritt erklärt, denn aus einem immer wieder aufs neue unternommenen Leistungsvergleich. Der Name des dritten Torwarts im Aufgebot hingegen war immer nur für die Reisekostenabrechnungen des Teams von Relevanz. Eingesetzt wurde er nie, und daran dürfte sich auch in Südafrika, sofern die Deutschen von ungewöhnlichem Verletzungspech verschont bleiben, nichts ändern. Von Interesse konnte diese Personalie allenfalls als Hinweis darauf sein, wer vielleicht bei einem der nächsten Turniere zum Zuge kommen könnte, sofern die Stehzeit der Platzhirsche vor ihm nicht zu lange wäre.

Der dritte Mann im Tor war im Kader für die WM 2002 der seinerzeit noch für Bayer Leverkusen auflaufende Hans Jörg Butt. Vor dem Turnier hatte der damals immerhin auch schon 28jährige erst ganze zwei Länderspiele absolviert. In beiden war er zur zweiten Halbzeit eingewechselt worden und hatte je einmal hinter sich greifen müssen. Nach der WM kam im Jahr 2003 ein einziger 45-Minuten-Einsatz hinzu. Seither ist er auf der Rangliste der Aspiranten auf den Platz im Tor der Nationalmannschaft nach unten durchgereicht worden und erst nach dem Scheitern Timo Hildebrands in Spanien, dem Freitod Robert Enkes und der Verletzung René Adlers dank einer soliden Saison im Trikot des neuen deutschen Meisters kometenhaft wieder aufgestiegen.

Hinsichtlich seiner Erfahrung im DFB-Team kann er es mit den beiden anderen Südafrika-Fahrern Manuel Neuer und Tim Wiese aufnehmen. Der Schalker stand auch erst dreimal im Tor der Nationalmannschaft, in zwei Einsätzen langte es immerhin für 90 Minuten. Tim Wiese hingegen kam gar erst in zwei Spielen für je eine Halbzeit zum Zuge. Alle drei für Südafrika nominierten Torhüter zusammen repräsentieren somit einen Erfahrungsschatz von acht Länderspielen, dies dürfte auch im internationalen Vergleich rekordverdächtig sein. Zur Erinnerung: Vor Beginn der WM 2006 hatten Jens Lehmann, Oliver Kahn und Timo Hildebrand insgesamt 120 Einsätze vorzuweisen.

Außer Betracht bleiben kann aber immerhin das Alter der Torhüter. Zwar meinen viele, daß diese Position ähnlich wie das Amt des Bundespräsidenten eine gewisse Reife erfordere. Als Bodo Illgner den bislang letzten WM-Titel holte, war er jedoch gerade einmal 23 Jahre alt. Manuel Neuer, der jüngste Torwart im WM-Kader 2010, ist ein Jahr älter.

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