© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Herrschergeschlechter
Politische Zeichenlehre XCIX: Panarabische Farben
Karl Heinz Weissmann

Seit der Erklärung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu vom vergangenen Sommer, er akzeptiere eine „Zwei-Staaten-Lösung“ und damit die Souveränität der palästinensischen Nation, hat sich das, was man den Nahost-Friedensprozeß nennt, nur schleppend weiterentwickelt. Der neue Streit über jüdische Siedler in Ostjerusalem bescherte ihm zwar eine gewisse Aufmerksamkeit, aber im großen und ganzen gehen die Beobachter davon aus, daß Gründung und Anerkennung des Palästinenserstaates nur noch eine Frage der Zeit sind.

Darüber, welche Nationalflagge dieser Staat verwenden wird, besteht kein Zweifel, da diese – nach Annahme durch die Palästina-Konferenz im Oktober 1948 – faktisch längst in Gebrauch ist und auch für die Autonomiegebiete Verwendung findet: ein schwarz-weiß-grün gestreiftes Tuch mit aufgelegtem rotem Dreieck zum Mast.

Die Farben Grün, Weiß, Schwarz und Rot spielten für die Flaggen der arabischen bzw. islamischen Welt seit jeher eine wichtige Rolle. Ihre Kombination ist allerdings erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts gebräuchlich. Nach einer Interpretation gehen diese „Panarabischen Farben“ zurück auf das Grün des Propheten Mohammed, dann der Aliden und Fatimiden, das Weiß des Herrschergeschlechts der Omajaden, das Schwarz der Abassiden und das Rot der Haschemiten.

Einer anderen Hypothese zufolge entstammen sie einem Entwurf der Jungarabischen Bewegung, die sich vor dem Ersten Weltkrieg bildete und für die Selbständigkeit der arabischen Völker gegenüber osmanischer wie westlicher Vorherrschaft und eine Rückbesinnung auf die eigene Kultur eintrat. Ihr Ziel war ein panarabischer Staat, und die Wahl der Farben erklärte der Dichter Safi al-Din al-Hili pathetisch mit den Worten: „Weiß sind unsere Taten, schwarz sind unsere Kämpfe, grün sind unsere Felder, rot sind unsere Dolche.“ Eine Tagung arabischer Nationalisten in Beirut verabschiedete 1914 eine Deklaration, in der es hieß, daß unter einer Flagge in diesen Farben, die auch die Farben der traditionellen Dynastien seien, der künftige großarabische Staat errichtet werde.

Fest steht immerhin, daß das kurzlebige haschemitische Königreich Hedschas – der erste arabische Staat, der aus dem Osmanischen Reich herausgelöst wurde – 1917 ein grün-weiß-schwarz gestreiftes Tuch mit einem aufgelegten roten Dreieck zur Mastseite als Flagge verwendete. Hedschas wurde bald durch Saudi-Arabien annektiert, aber die Panarabischen Farben existierten fort, da die Söhne des Königs von Hedschas als Könige von Irak und Transjordanien die Flagge ihrer Heimat übernahmen; zur Unterscheidung versah Transjordanien das rote Dreieck mit einem, der Irak das (zum Trapez beschnittene) rote Dreieck mit zwei weißen Sternen. Fahnen dieses Musters verwendeten später noch Palästina (1922), Kuwait (1961), die Vereinigten Arabischen Emirate (1971), Westsahara (1976) und Somalia (1996).

Ihren eigentlichen Charakter als Panarabische Farben gewann die Kombination aber erst mit Schaffung der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) durch den Zusammenschluß von Ägypten und Syrien im Jahr 1958. Gamal ab del Nasser als ägyptischer Staatschef ließ damals die seit der Revolution von 1952 verwendete rot-weiß-schwarze „Befreiungsflagge“ seines Landes um zwei grüne Sterne im Mittelstreifen ergänzen. Damit ähnelte sie sehr der syrischen, die seit 1932 waagerecht Grün-Weiß-Schwarz zeigte, auf dem weißen Feld drei rote Sterne.

Diesem Modell folgten in den nächsten Jahren zahlreiche arabische Staaten, die sich eine republikanische Verfassung gaben und dem Nationalismus höhere Bedeutung beimaßen als der islamischen Tradition, etwa Jemen und Südjemen. Auch Libyen nahm bei Erlangung der Unabhängigkeit 1951 eine Flagge in den Panarabischen Farben an: Rot-Schwarz-Grün mit weißem Halbmond und Stern, ab 1969 nutzte man sogar das VAR-Muster.

Allerdings führte Staatschef Gaddafi schon 1977 eine monochrom grüne Flagge ein, womit sich andeutete, daß der arabische Nationalismus und mit ihm der Panarabismus an Anziehungskraft verloren und allmählich die Bedeutung des Islam wiederkehrte. Verschwunden sind die Panarabischen Farben deshalb nicht, in den eher säkular orientierten Staaten des Nahen Ostens hält man an ihnen fest, und im Irak hat man nach dem Sturz Saddam Husseins zwar eine kleine Modifikation der Nationalflagge vorgenommen, aber an deren Konzept bewußt nichts geändert.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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