© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

CD: Pop
Es rumpelt
Georg Ginster

Mark E. Smith, ein Bilderbuch-Brite mit ausgeprägten proletarischen Leidenschaften für Bier und Fußball, hat in den knapp dreieinhalb Jahrzehnten seines musikalischen Schaffens unter dem Bandnamen The Fall Heerscharen von Mitwirkenden verschlissen und eine unübersehbare Zahl von Alben in die Welt gesetzt. Etwa 27 könnten es sein, die allein unter Studiobedingungen eingespielt wurden, wobei es gerade als sein Markenzeichen aufgefaßt werden darf, daß den Aufnahmen keine Professionalität anzumerken ist.

In diese Tradition reiht sich auch die aktuelle Veröffentlichung „Your Future Our Clutter“ (Domino/Indigo) harmonisch ein. Wie gewohnt enthält sie diverse Tracks, die man nicht als Songs mißverstehen sollte. Es rumpelt, dreht sich im Kreis, dümpelt monoton vor sich hin, um dann wieder mit einem Anflug von Melodie loszupreschen, dazu oder daneben ertönt die nörgelnde, nie wirklich nüchtern klingende Stimme von Smith, die kaum als solche zu bezeichnen ist. Er kann nicht singen, konnte noch nie singen und wird es mit 53 Jahren auch nicht mehr lernen.

Immerhin reduziert er sein vokalisches Engagement heute fairerweise auf Sprechgesang, wobei auch das zuviel gesagt ist, sofern man darunter eine kommunikative Handlung versteht. Was Smith von sich gibt, ist aber entweder akustisch unverständlich oder hinsichtlich des Sinngehalts in etwa mit zufällig kompilierten Wortfetzen aus Kneipengesprächen zu vorgerückter Stunde vergleichbar. Es gibt Stimmen, die in diesen Kulturschöpfungen ehrfurchtsvoll ein geniales und radikales Konzept der Destruktion von unberechtigterweise als selbstverständlich aufgefaßten Song-Strukturen ausmachen. Ihnen sollte man die Freude nicht nehmen, hinter die Dinge geblickt zu haben. Für einfacher gestrickte Gemüter ist der Nutzen, den sie aus derartigen Klängen zu ziehen vermögen, trivialer: Es gibt immer wieder Situationen, in denen man sich einfach nur gehenlassen möchte. Diesem Bedürfnis kann durch das Hören nahezu jeder beliebigen CD von The Fall Ausdruck verliehen werden.

Burgunder statt Dosenbier: Arriviertere Hörer, die die gute, alte Boheme nicht mit einer pöbelhaften Subkultur verwechselt wissen wollen, durften sich in den 1990-er Jahren bei den Tindersticks gut aufgehoben fühlen, die sich live eher wie ein Kammerorchester denn eine gewöhnliche Band darboten. Was Sänger Stuart A. Staples nuschelte, atmete tieferschöpfte Traurigkeit, auch wenn man die Texte kaum verstand, und konnte das gute Gefühl hinterlassen, echter Kunst beigewohnt zu haben. Da so viele Solisten mit zum Teil ungebräuchlichen Instrumenten die Arrangements bereicherten, gelang es zunächst, die Gesangsdarbietungen vergessen zu machen.

Die Macht der Illusion erlosch mit der dritten CD, „Curtains“ (1997), und bald darauf verflüchtigten sich die Tindersticks. Die Wiederaufnahme der gemeinsamen Tätigkeit hat, nachdem sich „The Hungry Saw“ (2008) noch in alten Gleisen bewegte, mit der CD „Falling Down A Mountain“ (4AD) nun eine Rechtfertigung gefunden. Auf ihr sprengen die Tindersticks das stilistische Korsett, das sie so lange gefangen hielt, sie experimentieren mit Jazzklängen, schwelgen in Mariachi-Stimmung und lassen überdies den Sound der Sechziger wieder auferstehen. Da mag es verzeihlich sein, daß sie auch die Schnulze immer noch beherrschen.

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