© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Ein Hauch von Großer Koalition
Regierungskrise: Angesichts der Euro-Krise und des Wahldebakels an Rhein und Ruhr droht Schwarz-Gelb endgültig die Luft auszugehen
Paul Rosen

Es liegt wieder ein Hauch von Großer Koalition in der Berliner Luft. Kanzlerin Angela Merkel ist nach der Wahlschlappe von Nordrhein-Westfalen und einer für das Gros der Wahlbürger nicht mehr nachvollziehbaren Griechenland- und Euro-Rettung angezählt. Der massive Vorsprung der Union vor der SPD bei der vergangenen Bundestagswahl ist in den Umfragen verspielt. Wie lange die einstige „Wunschkoalition“ von Union und FDP in Berlin noch hält, vermag niemand zu sagen.

Zwei Tage im Mai haben zu einer völlig neuen Lage in Deutschland geführt. Der 7. Mai wird vielleicht für Historiker eines Tages von größerer Bedeutung sein als der 9. Mai 2010, an dem die Bürger von Nordrhein-Westfalen zur Wahl aufgerufen waren und Merkels CDU schwer abstraften. Am 7. Mai – der Bundestag beriet gerade über das Griechenland-Hilfspaket – erlitten die Finanzmärkte eine Art Schlaganfall.

Der Geldkreislauf stoppte, für Euro gab es angeblich keine Dollar mehr, französische Staatsanleihen erlitten das griechische Schicksal und waren plötzlich unverkäuflich. „Wir standen kurz vor einer neuen Finanzkrise“, bestätigt CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. Merkel und die Unionsführung ließen ihre Mannen im Bundestag jedoch fleißig für die Griechenland-Hilfe streiten – vermutlich schon wissend, daß die ganz große Rechnung für Europa noch kommen würde.

Das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen hat von der tatsächlichen Lage abgelenkt. Während die Medien rot-rot-grüne Koalitionen und Ampel-Bündnisse durchspielten, ließ Merkel bei der Karlspreis-Verleihung in Aachen Teile der Wahrheit durchblicken, indem sie die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Euro-Währung und der EU an die Wand malte. Beide Projekte sind die Lebenslügen einer entnationalisierten CDU, die den Nationalstaat auf den Brüsseler Altären opfern will beziehungsweise dies größtenteils schon getan hat. Währung und Brüsseler Rätesystem aufrechtzuerhalten, sind die eigentlichen Ziele der CDU, wie schon an der Griechenland-Hilfe deutlich wurde. Viele Bürger folgen Merkel und ihrer Partei nicht. Daß in Nordrhein-Westfalen 330.000 CDU-Wähler zu Hause bleiben, wertete der Spiegel völlig zu Recht als „Sitzstreik des bürgerlichen Lagers“.

Das Wahlergebnis ließ Merkels Macht bröckeln. „CDU-Männer mucken gegen Merkel auf“, wußte das Springer Blatt Bild zu berichten und nannte die Gegner der Kanzlerin: die Ministerpräsidenten Stefan Mappus (Baden-Württemberg), Roland Koch (Hessen) und Stanislaw Tillich (Sachsen). Mappus, der in zehn Monaten eine Landtagswahl zu bestehen hat, verlangte den Rücktritt von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), weil der den Bundesrat an der Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten beteiligen will, womit dieses Vorhaben der Koalition angesichts der geänderten Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer gescheitert wäre. Röttgen will natürlich aus der Atomenergie raus, um mit den Grünen koalieren zu können, was der bürgerlich-konservative Mappus nicht mag. Mappus’ Schuß richtete sich auch gegen die Kanzlerin.

Richtig aufgemuckt hat auch Koch, als er sich einer Lebenslüge annahm, die besagt, daß mehr Geld für Bildung auch tatsächlich zu einem höheren Bildungsniveau führt. Koch verlangte Kürzungen und erntete den zu erwarteten reflexhaften Aufschrei einschließlich eines „Machtworts“ der ansonsten gar nicht so führungsstarken Kanzlerin, an der Bildung gebe es nichts zu sparen.

Richtig böse wurde es für die Kanzlerin erst bei der Debatte um die Finanztransaktionssteuer, mit der schneller spekulativer Börsenhandel verhindert oder wenigstens verringert werden soll. Noch auf dem DGB-Bundeskongreß lehnte sie diese Steuer vehement ab, weil sie nur weltweit durchsetzbar sei. Auf Druck der eigenen Fraktion fiel sie jetzt um und ist bereit, sich an vorderster Front für diese Steuer einzusetzen. Die ohnehin schon schwindsüchtige FDP kippte gleich mit um. Guidos Westerwelles Partei erinnert immer mehr an die Dame ohne Unterleib. Initiativen oder Anstöße gehen von den Liberalen nicht mehr aus. Sie sind in Nordrhein-Westfalen auf Normalmaß zurechtgestutzt worden. Die 14-Prozent-Schuhe bei der Bundestagswahl waren für Westerwelle und seine Truppe etliche Nummern zu groß.

Nun ist die Mehrheit im Bundesrat verloren, und die Koalition muß jedes Jahr zehn Milliarden Euro einsparen, was sich bis 2016 auf eine Einsparung von 60 Milliarden Euro summiert. Das ist der doppelte Verteidigungshaushalt. Schaffen soll das ein schwerkranker Finanzminister Wolfgang Schäuble, der zwar in dieser Woche seinen Dienst wieder antrat, aber von dem man auch nicht weiß, wie lange es bis zur nächsten Krankmeldung dauert. Aber wo soll gespart werden, wenn es nur Tabuzonen gibt, über die nicht geredet werden darf: Bildung geht nicht, Entwicklungshilfe auch nicht, und Sozialausgaben gelten als unantastbar. An die Gehälter der Staatsdiener, Pensionen und Renten kann man auch nicht ran, so daß nur noch die ohnehin geringen Investitionen bleiben. Zehn Milliarden pro Jahr sind damit nicht zu schaffen, und eine große Steuererhöhung dürfte vorerst am Bundesrat scheitern. Den Knoten könnte nur eine Große Koalition wie 2005 durchschlagen: Damals wollte die SPD keine Mehrwertsteuererhöhung, die Union wollte zwei Punkte rauf. Heraus kamen drei Punkte.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen