© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

Deutsche, laßt den Schuldkult!
Der Italo-Marxist Losurdo
Christian Dorn

Ist Deutschland als „verspätete Nation“ verurteilt, auf ewig dem Verdacht eines „Sonderwegs“ ausgesetzt zu sein? Oft ertönt dieser Vorwurf gerade aus dem Lager der Linken, dem jede Regung nationaler Selbstvergewisserung wie die neuerliche Empfängnis des „noch fruchtbaren Schoßes“ erscheint.

Eine bemerkenswerte Ausnahme macht hier die luzide Schrift des linken italienischen Geschichtsphilosophen Domenico Losurdo. Er legt kurz und schlüssig dar, daß es sich beim Stereotyp vom „deutschen Sonderweg“ um „idealistischen, reaktionären Unsinn“ handelt. Denn, so Losurdo, „wir können zwar sagen, daß das deutsche Volk einzigartig ist, aber das gilt ebenso für alle anderen Völker“. Es ist eine Absage an Günter Grass’ Verdikt: „Deutschland denken heißt Auschwitz denken“. Wie dieser verdrängt auch ein Teil der politischen Elite, daß der Faschismus keine exklusiv deutsche Erscheinung war. Vielmehr, so die Vermutung Losurdos, diene der Vorwurf vom „deutschen Sonderweg“ dazu, der Bundesrepublik gegenüber den USA und Israel eine Vasallenrolle aufzunötigen.

Fatalerweise werde dies durch „eine gewisse Linke“ befördert, die den Begriff der Nation nur dann wiederentdecke, „wenn es sich um die pauschale Verurteilung der Deutschen handelt“. Dabei habe Karl Liebknecht 1913 die „Vaterlandslosigkeit“ und den „vollkommenen Apatriotismus“ gerade des Kapitals als ein Gebaren angeprangert, „das an Hoch- und Landesverrat mindestens grenzt“. Nicht zufällig seien auch Lenin und Gramsci als „große Theoretiker der Hegemonie gleichzeitig die beiden großen Theoretiker der nationalen Frage“ gewesen. Indem Losurdo zudem den Massenmörder Mao Tse-tung oder Ho Chi Minh und Fidel Castro als Gewährsleute anführt, läuft er Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Das aber wäre schade, denn seine faktenreiche Auflistung der insbesondere US-amerikanischen Einflüsse auf den Rassismus des Dritten Reiches sind schwerwiegend. Dies gilt – neben dem Modell der „white supremacy“ – auch für die importierte Figur des „Untermenschen“, die 1922 vom Eugeniker Lothrop Stoddard in dessen Schrift „The Revolt against Civilization. The Menace of the Under Man“ eingeführt wurde. Alfred Rosenberg bewunderte diese Klarheit mehrfach. In seinem „Mythus des 20. Jahrhunderts“ feierte er die USA als Vorbild: als ein Land, dem das Verdienst zukomme, den „neuen Rassestaatsgedanken“ formuliert zu haben, den es jetzt nur noch praktisch umzusetzen gelte.

Domenico Losurdo: Die Deutschen. Der Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes? Compact-Reihe Nr. 15. Kai Homilius Verlag, Berlin 2010, broschiert, 108 Seiten, 7,50 Euro

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