© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Eigeninteresse
Karl Heinzen

Im Gegensatz zu seinen beiden Nachfolgern kennt Altbundeskanzler Helmut Kohl das Leid des Krieges noch aus eigener Anschauung. Qua seines Alters ist es ihm daher nachzusehen, wenn er sich in öffentlichen Verlautbarungen als Geschichtsdeuter versucht und vermeintliche Lehren aus der Vergangenheit auf politische Probleme von heute zur Anwendung bringt.

Eine Gelegenheit dazu bot der unlängst anläßlich seines 80. Geburtstages veranstaltete Festakt in Ludwigshafen. In seiner Laudatio auf sich selbst stellte Kohl die Bemühungen um eine Rettung des EU-Partners Griechenland aus seinen fiskalischen Nöten in einen größeren historischen Zusammenhang. Mehr denn je, so führte der Altkanzler aus, sei er heute davon überzeugt, daß die europäische Einigung für Europa und im übrigen auch für die Deutschen als „eine Frage von Krieg und Frieden“ betrachtet werden müsse. Als ein „Stück Friedensgarant“ komme dem Euro hier eine zentrale Bedeutung zu.

Das Argument, auf das sich diese Beurteilung stützt, hat Helmut Kohl schon des öfteren ausgeführt, und es war wohl letztlich auch ein Leitfaden seiner Regierungszeit: Deutschland ist im 20. Jahrhundert katastrophal gescheitert, weil sein politisches und ökonomisches Potential die Nachbarn beunruhigte und zur Intervention herausforderte. Stabilität und Frieden kann es auf diesem Kontinent nur geben, wenn unser Land sich selbstlos in einen größeren Zusammenhang einbringt. Das wohlverstandene Eigeninteresse Deutschlands liegt darin, dieses nicht losgelöst von jenem der Freunde und Partner zu definieren.

Der unterschwellig revisionistische Zug einer derartigen Betrachtung sollte nicht dazu verleiten, sie insgesamt zu verwerfen. Natürlich ist es bedenklich, ja gefährlich, so zu tun, als sei Deutschland sozusagen in lauter Unschuld das Opfer seiner eigenen Größe geworden und hätte gar nicht ohne Not und in böser Absicht Leid über seine Nachbarn gebracht. Dennoch ist es vernünftig, für eine Politik der freiwilligen Preisgabe deutscher Interessen zu plädieren, um damit Kriege, die eine solche in der Vergangenheit erst blutig erzwingen mußten, in Zukunft ausschließen zu können.

In diesem Sinne sorgt auch ein schwacher Euro für Stabilität, da er eine währungspolitische Hegemonie Deutschlands über Europa verhindert. Die zu seiner Bewahrung unerläßliche Hilfe für Griechenland müßte der Bevölkerung zudem einfach zu vermitteln sein. Bislang war das Reden von der europäischen Wertegemeinschaft oft nebulös. Jetzt läßt es sich endlich auf Euro und Cent beziffern.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen