© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Bäume aus Zement
Zeitkritische Filmballade: „Die Nibelungen“ in einer restaurierten Fassung
Harald Harzheim

Vergangene Woche lud die Deutsche Oper Berlin zu einem Filmkonzert (JF 18/10). Der aufgeführte Komponist: Gottfried Huppertz (1887–1937). Für Opernfans ein Unbekannter, für Cineasten ein Bahnbrecher, der in einer Reihe steht mit Max Steiner, Maurice Jaubert, John Williams oder Howard Shore. Huppertz’ Filmmusik zu Fritz Langs „Metropolis“ (1927) ertönte bei dessen Wiederaufführung auf der diesjährigen Berlinale. Drei Jahre vor dem Science-fiction-Klassiker komponierte Huppertz die Musik zu einem fünfstündigen „Nibelungen“-Film (1924), gleichfalls unter der Regie von Fritz Lang.

Jetzt, bei der Premiere der restaurierten Nibelungen-Fassung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Berlin, kam auch die Begleitmusik, rekonstruiert und dirigiert von Frank Strobel, wieder in vollen Klangfarben zu Gehör. Dabei erhielt der Opernsaal durch Leinwand und Begleitorchester das Flair alter Kinopaläste. Huppertz’ „Nibelungen“-Filmmusik ist bis heute die einzige kompositorische Alternative zu Wagners „Ring“-Trilogie. Und wie das Musikdrama zwei Generationen zuvor, sprengte Fritz Langs Film alle damals gängigen Produktionsstandards bezüglich Länge, Budget und künstlerischer Gestaltung. Der Zelluloid-Poet, dessen Bild-Kompositionen noch heute ergreifen, scheute keinen Aufwand. So ließ er die riesigen Bäume des Nibelungenwaldes aus Zement gießen, üppig und ausgefeilt bis ins Detail, und spornte seine Mitarbeiter zur Entwicklung hochkomplexer Licht- und Spezialeffekttechnik an.

In Abgrenzung zu Wagner orientierten sich Fritz Lang und seine Drehbuchautorin Thea von Harbou an der altnordischen Überlieferung. So ist der Film nicht in Akte, sondern in „Gesänge“ eingeteilt. Beide Teile, „Siegfrieds Tod“ und Kriemhilds Rache“, bestehend aus jeweils sieben szenischen „Gesängen“ à 20 bis 25 Minuten, bilden zusammen eine gewaltige zeitkritische Filmballade.

Der erste Teil erzählt vom Waldzögling Siegfried (vom damaligen Frauenschwarm Paul Richter gespielt), der nach Drachenkampf und Eroberung des Nibelungenschatzes zum Königshof von Worms gelangt. Dort residiert König Gunther (Theodor Loos), der Versagertum mit politischem Übermut kompensiert, sowie dessen Berater, der finstere Hagen (Hans Adalbert Schlettow). Es ist ein Hof voller Intrigen, Erpressung und Betrug. Kaum hat sich Siegfried in Gunters Schwester Kriemhild (Margarethe Schön) verliebt, wird er vom Machtapparat okkupiert: Er darf Kriemhild ehelichen, wenn er für Gunter die wilde Amazone Brunhild (Hanna Ralph) unterwirft. So wird der freie, arglose Mensch von Mächtigen für Eroberungs- und Unterwerfungskriege mißbraucht – das war sechs Jahre nach dem Ersten Weltkrieg eine deutliche Sprache.

Das bekräftigt der zweite Teil, der Kriemhild als Hauptfigur etabliert. Zu Beginn ein schüchternes, naives Mauerblümchen, begreift sie nach Siegfrieds Tod die mörderischen Strukturen der (Hof-)Politik und schwört Vergeltung. „Kriemhilds Rache“ zeigt ihre Metamorphose zur blutdürstigen Furie. Sie verläßt Gunters Hof und heiratet den Hunnenkönig Etzel. Rudolf Klein-Rogge spielt ihn als freakigen Boß einer prähistorischen Rockergruppe, aber vital und herzlich. Da fehlt jeder Argwohn, jede kalte Berechnung. Die Heiligkeit des Gastrechts respektiert er bis zum Untergang. Die Hunnen sind hier also keineswegs „herumhampelnde Untermenschen“ (Berliner Zeitung).

Etzel verfällt der eleganten Burgunderin und wird zum unfreiwilligen Werkzeug ihrer Rache, die sich erst erfüllt, als König Gunter und seine Getreuen vernichtet sind. Wenn Kriemhild zuletzt die Mörder ihres Mannes im brennenden Palast weiß, deren Verzweiflungsrufe hört, steigert sie sich in eine Ekstase, die selbst härteste Krieger erschaudern läßt.

Kollegen von der Tagespresse stießen sich an der bedingungslosen „Nibelungentreue“ der Charaktere – eine höchst einseitige Deutung. Zwar bekundet die Regie Respekt vor dieser „Treue bis in den Tod“. Der Handlungsverlauf aber zeigt, daß solche Treue, wenn bedingungslos praktiziert, für alle Beteiligten fatal endet.

Bei der Restauration stellte man die originale Bild-Kolorierung wieder her. Die taucht das Nibelungenszenario zunächst in fahle Gelbtöne, aber im Finale, wenn der Palast und Kriemhild aus Rachelust in Flammen stehen, leuchten die Bilder im feurigen Gelb-Orange. Die Restauration gelang mit Hilfe von Kopien aus weltweit 17 Archiven. Zu den wiederentdeckten Einstellungen gehört auch die von Kriemhilds Tod durch Erstechen. Vorher schien es, als stürbe sie den psychosomatischen Tod zahlreicher Opernheldinnen. Durch den Mord erfährt das Finale nun eine Banalisierung.

Und Huppertz’ Musik? Sie zeigt unverkennbaren Wagner-Einfluß und ist die perfekte Übersetzung von Langs Bildersprache ins Akustische.

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