© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Hier stehe ich, ich kann nicht anders
Verantwortung vor Gott: Seit vier Jahrzehnten gibt Helmut Matthies bekenntnistreuen Christen eine Stimme
Gernot Facius

Evangelischer Pfarrer und furchtloser konservativer Publizist: eine im real existierenden deutschen Protestantismus rar gewordene, weil gefährliche Kombination. Wer als Akteur im Meinungskampf sich an Luthers entschiedenes „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ hält, sich nicht hinter hohl klingenden Einerseits/Andererseits-Floskeln versteckt, muß mit dem Mißtrauen seiner Umwelt rechnen, er gerät schnell unter Fundamentalismusverdacht.

Helmut Matthies, 1950 auf dem Escheberg bei Peine geboren, trotzt mit niedersächsischer Standfestigkeit den zeitgeistigen Strömungen in seiner Kirche: von der überbordenden historisch-kritischen Bibel-Interpretation über die zeitweilige Instrumentalisierung des Evangeliums für politische Zwecke bis zu den umstrittenen Segenshandlungen für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, wie sie in Teilen der EKD praktiziert werden.

Früher als andere, lange vor dem heutigen Berliner Altbischof und ehemaligen Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber, hat Matthies auf die Gefahr der Selbstsäkularisierung der Kirche aufmerksam gemacht. Er ist seit 1978 Chefredakteur der evangelischen Nachrichtenagentur idea, er leitet auch das Wochenmagazin idea-spektrum, das – fast ein kleines Wunder – trotz der allenthalben bejammerten Medienkrise Auflage und Reichweite kontinuierlich gesteigert hat. Idea mit Sitz im mittelhessischen Wetzlar ist das publizistische Flaggschiff der evangelikal geprägten Protestanten in Landes- und Freikirchen. Seit nunmehr vier Jahrzehnten gibt idea den manchmal etwas abschätzig als die „Frommen“ apostrophierten bibel- und bekenntnistreuen Christen eine Stimme.

Matthies stieß nach diakonischer Tätigkeit, Abitur über den zweiten Bildungsweg am Studienkolleg Laubach bei Gießen, Studium der Theologie in Berlin, Hamburg und Heidelberg zu idea. Es war noch die Zeit der ideologischen Grabenkriege. Die evangelische Kirche hatte sich dem linken Zeitgeist weit geöffnet, Kirchentage waren eher Parteitage des Linksprotestantismus. Wer die Einseitigkeit anprangerte, mit der dort argumentiert wurde, den traf die Faschismuskeule. Helmut Matthies, engagiertes Mitglied der Evangelischen Notgemeinschaft, hatte sich schon als junger Theologe, noch im Studium, den Zorn des damaligen Kirchen-Establishment zugezogen.

Wer von der heutigen Schüler- und Studentengeneration etwas über die Verirrungen und Irrtümer prominenter Kirchenmänner wie Bischof Kurt Scharf und Professor Helmut Gollwitzer erfahren will, greife zum „Rotbuch Kirche“, herausgegeben 1976 von Jens Motschmann und Helmut Matthies. Hier bekommt er aufgelistet, wer und was alles die christliche Verkündigung gefährdete: die Kommunistenfreunde, die auf Kanzeln predigten; das neomarxistische Gedankengut, das in den Religionsunterricht eingeschleust wurde; die Evangelischen Studentengemeinden, die Linksradikalen ein Podium gaben; die Vikare – bekannte Namen finden sich darunter –, die mit Tolerierung durch ihre kirchlichen Oberen im DKP-Lager und bei den von der SED gelenkten „Friedensfreunden“ mitmischten. Und es wird beschrieben, wie kirchenleitende Kreise mit seismographischer Empfindlichkeit zwar unwürdige Vorgänge im Südafrika der Apartheid registrierten, aber die systematische Verletzung der Menschenrechte zum Beispiel im damaligen Ostblock nicht annähernd mit der gleichen Anteilnahme verfolgten oder sie zu relativieren suchten.

Die kircheneigene Presse, das „violette“ Presse-Imperium der EKD, war auf Linkskurs – diesem Trauerspiel widmete Matthies in dem Buch ein ganzes Kapitel. Idea steckte da noch in den Kinderschuhen, hatte zwar schon am Monopol des kräftig aus Kirchensteuermitteln alimentierten Evangelischen Pressedienstes (epd) gekratzt, alles in allem war es aber noch ein Kampf David gegen Goliath.

Längst wird idea auch von Kritikern ernst genommen

Heute wird idea als Medium auch von jenen ernst genommen, die es vor Jahrzehnten diffamierten oder belächelten. Der Chefredakteur, Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, hat ihm ein professionelles journalistisches Profil gegeben. Erfahrungen im sensiblen Nachrichtengeschäft hat er unter anderem bei dpa gesammelt. Idea-Kommentare sind pointiert, zugespitzt, aber sie sollen ja den theologischen und kirchenpolitischen Diskurs befeuern.

Helmut Matthies wird nicht widersprechen, wenn man ihn einen Konservativen nennt, politisch und theologisch. Einen Patrioten, dem alle Extreme zuwider sind. Einen Publizisten, für den die Grundgesetz-Präambel mit der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ auch nach 61 Jahren aktuell ist. Es hat ihn geschmerzt, daß es immer wieder Menschen aus seiner Kirche waren, die ihn in die rechtsradikale Ecke rückten. So als er am 4. Oktober 1989 seinem Leitartikel in idea den Titel gab: „Wiedervereinigung – was sonst?“ Einige seiner Kritiker nannten das „friedensgefährdend“.

Später, Deutschland war längst vereint, kam Matthies immer wieder darauf zurück, daß fünf Monate vor dem Mauerfall auf dem Kirchentag im Westen Berlins die Forderung laut geworden war, man solle endlich aufhören, von der Wiedervereinigung zu reden. Als Pfarrer und Journalist hat er sicher viele glückliche Momente erlebt. Der glücklichste Augenblick dürfte für ihn aber der Abend gewesen sein, als in Berlin die Mauer aufging und die Abgeordneten im Bundestag die Nationalhymne anstimmten.

Helmut Matthies hat wie der von ihm verehrte Gerhard Löwenthal an die Wiedervereinigung geglaubt. Der legendäre Moderator des ZDF-Magazins hat ihn schon während seiner Studienzeit fasziniert. Er zögerte deshalb nicht, 2009 den nach Löwenthal benannten Ehrenpreis für Publizisten der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (FKBF) anzunehmen, obwohl er dafür von einem Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) öffentlich kritisiert wurde. Der idea-Chef erwiderte in einem Kommentar, er habe die Ehrung angenommen, weil er sich „sonst gegenüber einem Juden (Löwenthal) geschämt hätte, der wie kaum ein anderer Journalist im Westen für Verfolgte und Entrechtete im kommunistischen Bereich eingetreten ist“. Am 7. Mai vollendet Helmut Matthies sein 60. Lebensjahr.

Info: Idea e.V., Steinbühlstr. 3, 35578 Wetzlar, Internet: www.idea.de

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