© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Bluten für einen „Diebesstaat“
Gesetzgebung: Im Schnellverfahren wird die Griechenland-Hilfe durch das Parlament gepeitscht, für finanzielle Wohltaten ist danach kein Spielraum mehr
Paul Rosen

Noch überwiegt der Optimismus: „Wir werden aus dieser Krise gestärkt hervorgehen“, versicherte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Lage in Griechenland. Am Sonntag verständigten sich die Finanzminister der Euro-Zone und der Internationale Währungsfonds auf ein Hilfsprogramm für die „Freizeitweltmeister am Südrand Europas“ (Spiegel). Griechenland muß demnach in den kommenden Jahren mit 110 Milliarden Euro gestützt werden. Davon muß Deutschland mindestens 22 Milliarden Euro über Bürgschaften für Kredite zur Verfügung stellen (siehe auch Seite 6 und 7). Die Kredite selbst will nicht der deutsche Staat aufnehmen, sondern er verlagert das Geldbesorgen auf die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), was zwar im Ergebnis nur eine andere Hausnummer im deutschen Staatsgebäude ist, aber nicht in der amtlichen Schuldenbilanz auftaucht.

Zunächst hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel geweigert, für Griechenland Hilfszusagen zu geben. In Europa begann man die deutsche Kanzlerin bereits „Madame Non“ zu nennen. Die dahinter stehende Überlegung war klar. Mit milliardenschweren Hilfszusagen für Griechenland könne die CDU kaum noch vor dem Wähler in Nord­rhein-Westfalen bestehen, so hatten die Berater der Kanzlerin in Partei und Kanzleramt erkannt. Die unerbittlichen Finanzmärkte zwangen die Kanzlerin zu einer Kursänderung. Nachdem der Euro-Kurs in einen Sinkflug überging und selbst kurzlaufende griechische Staatsanleihen über 20 Prozent Zinsen abwarfen (für diesen Satz hätte sich Griechenland neu verschulden müssen), mußte vor der nächsten griechischen Refinanzierungsaktion Mitte Mai das Hilfspaket her.

Die Alternative wäre gewesen, daß Griechenland keine Kredite mehr bekommen hätte und die ebenfalls von der Pleite bedrohten Euro-Länder Spanien, Irland, Portugal und Italien in den Sog hineingezogen worden wären. Nachdem Merkel aus dem Desaster nicht mehr rauskam, ging sie nach der Devise „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ vor. Die Griechenland-Hilfe wird an diesem Freitag im Eilverfahren durch Bundesrat und Bundestag getrieben. 

Das Ende mit Schrecken droht. Es gibt kaum einen Experten, der an eine Rückzahlung der jetzt auch von der KfW aufzunehmenden Kredite glaubt. Auch in der Berliner Gerüchteküche heißt es, die Griechen schummelten bei ihren Sparmaßnahmen genauso wie damals bei den Statistiken, mit denen sie die Reife für den Euro nachwiesen. Einsparungen in Höhe von 30 Milliarden Euro erscheinen ausgeschlossen. „Dieser Staat ist ein Diebesstaat. Griechenland ist kein modernes Land. Es ist eine Kombination von Klientelwirtschaft und altmodischem Sozialismus“, sagte der Athener Professor Yannis Stournaras in der Basler Zeitung. Stournaras ist ein guter Zeuge: Er war griechischer Chefunterhändler bei der Euro-Einführung.

Wenn also Deutschland tatsächlich mit 22 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren belastet wird, dürfte für angekündigte Wohltaten kein Spielraum mehr sein. Die im Koalitionsvertrag stehende Steuerreform mit einem Volumen von 24 Milliarden Euro gehört an erster Stelle dazu. Die fast gleich hohen Summen sind aber Zufall. Da zudem in Berlin eine Schuldenbremse eingeführt wird, sind Einsparungen bei Investitionen wahrscheinlich, während der Koalition für Einsparungen bei den Sozialausgaben die Kraft fehlen dürfte – mit Ausnahme der Renten, die ohnehin nur gering oder gar nicht steigen. Da Milliardensummen in den jetzt installierten europäischen Finanzausgleich fließen werden, wird es zu einem verringerten Wirtschaftswachstum in Deutschland kommen. Das Land wird zu Gunsten der Südeuropäer finanziell bluten.

Dabei ist fraglich, ob die Rettungsaktion für Griechenland die Euro-Krise beenden wird. Das Land hat 273 Milliarden Euro Schulden. Alle Euro-Länder zusammen haben bereits mehr als 7.000 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Wenn man die Schulden ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt setzt, dann hat Griechenland einen Schuldenstand von 115,1 Prozent, was aber nicht weit von Italien (115,8 Prozent) entfernt ist. Deutschland holt schnell auf: Lag der Schuldenstand Ende letzten Jahres noch bei 73,2 Prozent (1.700 Milliarden Euro), so soll er in diesem Jahr auf 80 Prozent klettern. Gut möglich, daß der europäische Krisenherd nicht nur im Süden brennt.

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