© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Die Euro-Dämmerung
Milliardenhilfen für Griechenland sind der Anfang vom Ende der Währungsunion
Michael Paulwitz

Europa ist wildgewordenen Zockern in die Hände gefallen. Nicht die vielbeschworenen „Spekulanten“ in den internationalen Finanzhäusern sind hier an erster Stelle gemeint: Europas schlimmste Zocker sind die Polit-Spekulanten, denen das Vabanque-Spiel einer europäischen Gemeinschaftswährung derzeit um die Ohren fliegt. Mit ihrem Milliarden-„Hilfspaket“ für das bankrotte Griechenland erinnern sie an Spielsüchtige, die im Wahn, das Blatt doch noch wenden zu können, selbst die Sparbücher ihrer Kinder und Enkel auf den Spieltisch werfen.

22,4 Milliarden Euro, für die heutige und künftige Steuerzahler haften, will die Bundesregierung nun also darauf wetten, daß Griechenland trotz Volksaufstands seinen Haushalt notdürftig in Ordnung bringen und seine enormen Staatsschulden auch künftig bedienen wird. Ob es bei dem Einsatz bleibt, ist fraglich; er ist ja schon in den letzten Wochen laufend erhöht worden. Fachleute halten den griechischen Finanzbedarf jetzt schon für viel zu optimistisch geschätzt.

Gut möglich also, daß die Zockerrunde der Euro-Staatschefs und ihrer Finanzminister, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bereits einen dreistelligen Milliarden-Kreditrahmen für die griechische Konkursverschleppung zugesagt haben, noch mehr gutes Geld dem schlechten hinterherwerfen muß. Besonders, wenn die nächsten Wackelkandidaten auf der Euro-Südschiene in Zahlungsschwierigkeiten kommen. „Das läuft jetzt alles automatisch ab“, hatte Währungskommissar Olli Rehn den Eingang der griechischen Pumpanfrage quittiert. So reden notorische Spieler, die nicht mehr rational urteilen können.

Regierungen, die ihre Länder selbst bis über die Halskrause verschuldet haben, leihen sich also noch mehr Geld, um es einem Spielbruder weiterzureichen, dem sonst keiner mehr was borgt, damit das Spiel noch ein Weilchen weitergeht. Selten haben Regierungen ihre Völker so windig belogen und für dumm verkauft wie die selbsternannten Euro- und Griechenland-„Retter“ in den letzten Wochen.

Die Milliardenspritzen für Athen werden nämlich weder Griechenland noch den Euro retten. Einem Zahlungsunfähigen, der seine laufenden Schulden schon nicht bedienen kann, hilft man nicht durch neue Kredite zu noch höheren Zinsen aus der Klemme, die er erst recht nicht zurückzahlen kann. Jede schwäbische Hausfrau und jeder ehrbare Kaufmann weiß das; die politischen Spitzen dieser Republik, die sich so gerne auf sie berufen, ignorieren es mutwillig.

Wollte man Griechenland helfen, müßte man ihm eine geordnete Staatsinsolvenz und Umschuldung mit kräftigen Abschlägen auf die Altschulden ermöglichen. Das ist auch der einzige Weg, um Banken und Spekulanten für die Krisenbewältigung zur Kasse zu bitten. Statt dessen legen EU und IWF ein noch gigantischeres Bankensubventionierungsprogramm nach dem bewährten Schema „Gewinne privatisieren – Verluste sozialisieren“ auf: Die alten Anleihen, für die man saftige Renditen gern mitgenommen hat, werden durch neue Staatsschulden abgelöst, für die dann die europäischen Steuerzahler haften, wenn der unausweichliche griechische Staatsbankrott kommt.

Bis dahin werden die Banken von deutschen Politikern sogar ausdrücklich ermuntert, weiter griechische Staatsanleihen zu kaufen, um Athen zu „helfen“. Weil die Europäische Zentralbank gegen alle Regeln griechische Ramschanleihen als Sicherheit für billiges Zentralbankgeld annehmen muß, das dann in hochrentierliche neue Griechen-Papiere gesteckt werden kann, ist das ein Bombengeschäft. Die lautstarke Oppositionsforderung nach einer Beteiligung der Banken an der Operation „Euro nach Athen“ ist vor diesem Hintergrund schizophren, deren großmütig angebotener freiwilliger Beitrag ein Witz.

Das „Rettungspaket“, so ein weiteres Märchen, hilft auch nicht „den“ Griechen, sondern allenfalls einzelnen, und zwar den reichen und politisch bestens vernetzten: Leuten wie dem Reeder und vielfachen Milliardär Spiros Latzis zum Beispiel, dessen EFG-Bank Regierungschef Papandreou als dankbarer Käufer griechischer Staatsanleihen stets gern geholfen hat, als inzwischen wohl größter Einzelgläubiger daran nicht schlecht verdient hat und, unter anderem auf Druck eines alten Freundes von Latzis, EU-Kommissionspräsident Barroso, vom deutschen und europäischen Steuerzahler vor unangenehmen Verlusten bewahrt wird.

Subventions-Großempfänger wie Latzis profitieren von Euro und EU. Für Alexander Normalgrieche wäre es dagegen leichter, wenn sein Land den Teuermacher Euro aufgäbe und statt dessen wieder eine der eigenen Wirtschaftskraft angemessene Währung einführte. Auch für den Euro wäre das besser. Denn das ist die dritte große Lüge: Das Griechenland-Rettungspaket wird den Euro nicht stabilisieren, sondern umbringen.

Der Bruch der Vertragsgrundlage, zu der das Verbot der Mithaftung für Schulden anderer Euro-Teilnehmer gehört, ist der Anfang vom Ende der Währungsunion. In der Krise bestätigt sich deren wahrer Charakter: ein politisch-ideologisches Kunstprodukt, das gegen alle ökonomische und fiskalische Vernunft inkompatible Volkswirtschaften zusammenspannt, um die deutsche Wirtschafts- und Währungskraft zu bändigen und zu vergemeinschaften. Durch die Umwandlung der Währungs- in eine Transfer­union, bei der die Noch-Kreditwürdigen für die bereits Zahlungsunfähigen geradestehen müssen, kann sich das globale Schuldenkarussell noch eine Spirale weiterdrehen, bis auch dem Stärksten die Luft ausgeht.

Antigriechischer Wohlstandschauvinismus vom Boulevard ist daher unangebracht: Die Hellenen sind wie die meisten Europäer Opfer ihrer bornierten Politiker, die das gescheiterte Euro-Experiment um jeden Preis weiter gegen die Wand fahren wollen. Es ist grotesk, daß die deutschen Steuerzahler nicht schon längst wie die Griechen aus Wut auf diese ruinöse und unappetitliche Kumpanei von Euromanen und Finanzjongleuren massenhaft auf die Straße gehen.

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