© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Frisch gepresst

Kaliningrad. Anläßlich des polnischen Flugzeugunglücks im Bannkreis von Katyn war öfter zu hören, daß die russische Staatsführung den traurigen Anlaß zu einer Geste des guten Willens Warschau gegenüber nutzen sollte. Die könnte sich in der Umbenennung Kaliningrads ausdrücken. Das alte Königsberg trage nämlich immer noch den Namen jenes Massenmörders, dessen Unterschrift unter Stalins Befehl zur Liquidierung der polnischen Elite in Katyn und anderen sowjetischen Schlachthäusern prange. Glaubt man hingegen der Allensteiner Politologin Ewa Romanowska, stieße ein solch kühner wie unwahrscheinlicher russischer Entschluß jedoch auf weitgehendes polnisches Desinteresse. Das Kaliningrader Gebiet habe nur einen geringen Stellenwert für Polen, selbst auf regionaler Ebene, im südlichen Ostpreußen. Weit weg von einstigen Hoffnungen auf ein wirtschaftlich erblühendes „russisches Hongkong“ am Pregel führen auch die anderen Beiträge, die der in Manchester lehrende Historiker Stefan Berger in seinem Sammelband „Kaliningrad in Europa“ (Nachbarschaftliche Perspektiven nach dem Ende des Kalten Krieges. Harrossowitz Verlag, Wiesbaden 2010, gebunden, 207 Seiten, Abbildungen, 29 Euro) vereint. Stagnation scheint heute die Beziehungen zwischen der russischen Exklave und ihrem EU-Umfeld zu bestimmen. Auch die „innerrussischen Feierlichkeiten“ (Putin) zum Königsberger Stadtjubiläum 2005 brachten keine frischen Impulse.

 

Rückschau. Eine Autobiographie, wie man gemäß dem Untertitel erwarten dürfte, hat der 1926 geborene Verleger Horst Poller in seinem umfangreichen Rückblick auf das letzte Jahrhundert nicht vorgelegt (Bewältigte Vergangenheit. Das 20. Jahrhundert – erlebt, erlitten, gestaltet. Olzog Verlag, München 2010, gebunden, 432 Seiten, 29,90 Euro). Die auf den ersten dreißig Seiten zusammengedrängten Erinnerungen an Jugend und soldatischen Einsatz im Kampf um Ostpreußen fallen eher skizzenhaft aus. Poller verrät nicht einmal, in welcher „Kleinstadt“ er denn aufwuchs. Deutlich tritt jedoch das Sinnzentrum seiner und der Generation seiner Eltern ins Licht: „der tief verwurzelte Vaterlands- und Pflichtgedanke“, der „Glaube an Deutschland“, der gerade bei den Jüngeren identisch war mit dem Glauben an Hitler. Im Verlauf seiner Retrospektive deutscher Geschichte seit 1914 gewinnt dann aber leider die Ausbreitung zeithistorischer Lesefrüchte die Oberhand. Dabei kolportiert Poller, der vielfach sein vom Zeitgeist nicht irritiertes Urteilsvermögen unter Beweis stellt, auch Fragwürdiges wie die „300.000 Opfer des angelsächsischen Luftschlages gegen Dresden“, oder er sinniert politisch rührend naiv: Nur weil Adolf Hitler „ein typischer Halbgebildeter“ war, sei er auch ein „fanatischer Judenhasser“ gewesen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen