© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Deutscher Falke am Hindukusch
Öffentliche Forderungen des Bundeswehr-Offiziers Marc Lindemann werden umgesetzt
Bernd Bredenkötter

Die tödlichen Gefechte seit Karfreitag haben in Deutschland den Afghanistan-Konflikt wieder einmal in das Zentrum öffentlichen Interesses gerückt. Im Gegensatz zu vergangenen Vorfällen wird es diesmal deutlich sichtbar Konsequenzen geben.  Der Verteidigungsminister hat entschieden, zwei Panzerhaubitzen vom Typ PZH 2000 in Kundus zu stationieren.

Damit kommt er Forderungen nach, die von dem Bundeswehr-Offizier und Afghanistan-Veteran Marc Lindemann erhoben werden. „Unter Beschuß – Warum Deutschland in Afghanistan scheitert“ lautet der Titel seines im Januar erschienenen Werks. Der Nachrichtenoffizier und Diplom-Politologe Lindemann bietet darin eine geglückte Synthese aus eigenem Erleben, profunder Sachkenntnis und weitreichender Analyse. Das Buch löste sowohl begeisterte Zustimmung  als auch heftige Kritik aus.

Lindemann hält den Afghanistan-Einsatz für gerechtfertigt. Für ihn steht außer Zweifel, daß die Anschläge des 11. September 2001 von Afghanistan aus initiiert wurden. Der Schutz Deutschlands vor internationalem Terror, dem es als Teil des Westens ausgesetzt sei, ist für ihn aber nicht der einzige Grund, deutsche Soldaten an den Hindukusch zu schicken. Ebenso verweist er darauf, daß ein Zerbrechen der Nato am Afghanistan-Konflikt für die Mittelmacht Deutschland verheerende Langzeitkonsequenzen zeitigen könnte. Schließlich sieht er in Afghanistan ein Zentrum der Drogen-Produktion, das zerschlagen werden muß.

Für den Offizier Lindmann spielen die sonst in der Öffentlichkeit vorrangig genannten Kriegsziele keine Rolle. Weder Frauenrechte noch der Aufbau einer Demokratie in einer traditionellen Stammesgesellschaft hält er für eine akzeptable Rechtfertigung oder ein realistisches Ziel. Aber eine Zusammenarbeit mit den afghanischen Kriegsfürsten wäre für ihn durchaus denkbar. Solange ihre Kriminalität und Menschenrechtsverletzungen nicht über das in der Dritten Welt übliche Maß hinausgingen, könnten sie wertvolle Werkzeuge sein, das für den Westen wesentliche Sicherheitsinteresse durchzusetzen. Und das sei die Bekämpfung des extremistischen Islam.

Lindemann nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er über den Islam urteilt und süffisant feststellt: „Eine Religion des Friedens? Wenn ja, dann hat sich der Islam wirklich gut getarnt.“ Er führt seine Erfahrungen als Nachrichtenoffizier an: „Wie an zahlreichen Orten der islamischen Welt, so ist auch im Einsatzgebiet der Bundeswehr in Kunduz kaum ein Wort der Mäßigung von religiösen Führern zu vernehmen (...) Als ‘friedlich’ gilt die Predigt des jeweiligen Mullahs oder Imams aus unserer Sicht bereits, wenn sie nicht offen zur Gewalt aufruft. (...) Für uns darf der Islam in seiner scharfen Radikalität keine Grundlage für Verhandlungen sein.“

Lindemann blendet dabei zwei Aspekte aus: Erstens fragt er nicht nach der Rolle, die die transkulturelle Migration dabei spielt, aus rückständigen, aber harmlosen Moslems Terroristen zu machen. Zweitens geht er nicht auf den naheliegenden Einwand ein, daß die westliche Intervention in islamischen Staaten die Situation weiter eskaliert.

Warum war der deutsche Einsatz in Afghanistan bisher so offensichtlich ein Fehlschlag? Für Lindemann gibt es ein ganzes Bündel von Gründen. Im militärischen Bereich sieht er das größte Problem in Passivität und Ängstlichkeit. Als die Bundeswehr 2003 den Norden des Landes übernahm, war die Lage weitgehend ruhig. Aber diese Ruhe wurde nicht genutzt, es wurden keine Waffenlager ausgehoben, es wurden keine Verhaftungen bekannter Unruhestifter vorgenommen.

Selbst die Hilferufe von Afghanen, die Schutz vor marodierenden Entführern und Kinderschändern erbaten, wurden zurückgewiesen. Man beschränkte sich darauf, winkend durch die Dörfer zu fahren. Nach einigen Jahren hatte die Bundeswehr den anfänglichen Respekt verspielt, in Afghanistan ein tödlicher Fehler. Lindemann macht das am Bild des Buskaschi fest. In diesem afghanischen Nationalsport geht es darum, zu Pferde um einen Ziegenkadaver zu raufen: Afghanen bewundern den Starken, den Schwächling verachten sie.

Als sich die Angriffe häuften, wurde nachträglich immer wieder der Schutz verbessert. Zu einer grundsätzlichen Änderung der Strategie kam es jedoch nicht. Es wurde nicht ins Auge gefaßt, aktiv gegen die Aufständischen vorzugehen, die von Jahr zu Jahr stärker wurden. Entsprechend sah die Ausrüstung aus. Die Fahrzeuge boten zwar einigen Schutz gegen Anschläge, aber kaum Möglichkeiten zum effektiven Feuerkampf. Dies führte dazu, daß Patrouillen der Bundeswehr mehrfach kurz davor standen, in Hinterhalten aufgerieben zu werden. Weitere Passiv-Bewaffnung hält Lindemann für sinnlos. Dazu zählt er auch das Raketenabwehr-System SkyShield C-RAM, das in den Feldlagern für etwa fünfzig Millionen Euro installiert wird.

Die bereits erfolgte Verlegung von Marder-Schützenpanzern bedeutet für Lindemann nur einen ersten Schritt: „Die Truppe wartet schon lange auf das passende Kriegsgerät. Die Panzerhaubitze 2000 wäre ein guter Anfang. Sie würde dafür sorgen, daß jeder Angreifer in einem Umkreis von vierzig Kilometern reiflich überlegen muß, ob er wirklich bereit ist, ins Paradies einzutreten.“

Dieser Forderung ist die Politik mittlerweile nachgekommen. Aber auch den schweren Kampfpanzer Leopard 2 A6 hält der Nachrichtenoffizier für Kundus geeignet, allerdings nicht als Patrouillenfahrzeug, sondern bestimmungsgemäß als Kampfmaschine: „Die alten Bedenken, die teilweise auch in der Truppe gegen den Einsatz der Siebzig-Tonnen-Kolosse gehegt werden, haben angesichts der katastrophalen Lage endgültig ihre Berechtigung verloren. Witterung und Gelände lassen deren Einsatz größtenteils zu, und ob die Leoparden eventuell Straßenbeläge ruinieren oder die Bevölkerung erschrecken, ist unerheblich.“ Und weiter merkt er an, daß „im Notfall, aber nur dann, die Leoparden tatsächlich aus dem Feldlager ausrücken müßten, damit in Bedrängnis geratene Truppen mit dem feuerstärksten und bestgeschützten Gefechtsfahrzeug der Welt zuverlässig entsetzt und der Feind effektiv bekämpft werden“.

Während der Bundeswehr attestiert wird, sie habe im Rahmen der gegebenen Bedingungen gute Arbeit geleistet, wird den Entwicklungsorganisationen Versagen oder gar Sabotage vorgeworfen.  Auch hier steuert Lindemann zahlreiche Beispiele aus eigener Anschauung bei. Er konstatiert eine grundsätzlich falsche Ausrichtung der Aufbauhilfe. Diese habe sich an den Sicherheitsinteressen Deutschlands und der Bundeswehr zu orientieren und nicht an universellen Prinzipien.

So sei es unangebracht und kontraproduktiv, Frauen in Afghanistan besonders zu fördern, denn dadurch werde der Widerstand traditioneller Afghanen geschürt. Auch sollte man die Hilfe auf den Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr konzentrieren, um so den Einheimischen klarzumachen, daß die fremden Truppen ihnen Vorteile bringen. Zudem komme es bei der Hilfe eher auf Geschwindigkeit als auf Nachhaltigkeit an.

Für deutsche Entwicklungshelfer – die Lindemann als links-alternative Gutmenschen mit Karriereinstinkt einstuft – sind das unerhörte Forderungen. Dem Offizier wiederum erscheint es ungeheuerlich, daß Organisationen wie die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die von staatlichen Geldern leben, die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr verweigern.Als Konsequenz fordert Lindemann, das  Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit aufzulösen und als Abteilung in das Außenministerium einzugliedern. Außerdem wären Mittel für eine eigene Aufbaueinheit in der Bundeswehr angebracht.

Der Aufbau müßte durch die afghanische Polizei abgesichert werden. Als Nachrichtenoffizier hatte Lindemann intensiven Kontakt mit den afghanischen Ordnungshütern. Er bestätigt das verbreitete Urteil über die „Landplage“, wie er schreibt: korrupt, inkompetent, von lokalen Machthabern abhängig und zu einem erheblichen Teil drogensüchtig. Mehr Ausbildung erscheint in dieser Situation als unzureichendes Heilmittel. Angebracht wäre mehr externe Kontrolle über die Befehlshaber und für die niederen Ränge eine motivierende Bezahlung, die dem lebensgefährlichen Einsatz angemessen ist.

Marc Lindemann: Unter Beschuß. Warum Deutschland in Afghanistan scheitert. Econ Verlag, Berlin 2010, broschiert, 283 Seiten, Abbildungen, 18,95 Euro

Foto: Afghanen beim Buskaschi, Bundeswehr-Wolf 2005 auf Patrouille: Afghanen bewundern den Starken, den Schwächling verachten sie

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