© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Spuren des Lichts
Ein heliozentrisches Weltbild: Giovanni Giacometti im Kunstmuseum Chur
Sebastian Hennig

Bereits 1898 inthronisierte eine Ausstellung in Zürich das Dreigestirn Schweizer Malerei „Hodler – Amiet – Giacometti“. Nach großen Ausstellungen von Ferdinand Hodler, Felix Valloton und Cuno Amiet im Kunstmuseum Bern widmet nun jenes von Chur dem letzten der maßgeblichen Schweizer Maler eine umfassende Werkschau, die zuvor ebenfalls in Bern zu sehen war. Unaufdringlich monumentalisiert Giovanni Giacometti das Schlichte, ganz so wie die Sonne das beiläufige Geschehen in heiliges Wesen tauchen kann. „Der Kampf um das Licht ist die Triebfeder meiner Arbeit“, bekannte er. Aber auf die Talsohle seines Wohnorts Stampa im Bergell gelangt von Anfang November bis Mitte Februar kein Sonnenstrahl. Der Sohn Diego beschrieb diese Zeit als „eine Art Vorhölle“. Ein Raum der Ausstellung versammelt die Winterbilder.

Von seinem Zeichenlehrer in Chur wird Giacometti 1886 nach München gelenkt, das damals eine bedeutende Kunstmetropole war. Dort schließt er Freundschaft mit seinem Landsmann Cuno Amiet; später wenden sie sich nach Paris. Zeitgleich arbeiten die Protagonisten der „Nabis“ Bonnard, Denis und Sèrusier an der Acadèmie Julian. Von einer verwandten prophetischen Farb-liturgie sind auch Giacomettis Bilder durchglänzt. 1889 sieht er auf der Weltausstellung Gemälde von Segantini, die ihn tief beeindrucken. Offenbar ist er in die Fremde gegangen, um dort interessante Schweizer kennenzulernen.

Giacomettis Malerei ist artifizieller und stilisierter als die des von ihm verehrten Segantini und naturnäher als die flächig-dekorativen Tableaus der „Nabis“. Seine Steigerung der Farbigkeit geht immer vom konkreten Freilichterlebnis aus. Es gibt keine symbolische Überhöhung, die sich soweit von der Natur ablöst, daß sie spirituelle Vorgänge in so zweidimensionaler Feierlichkeit wie zum Beispiel die Tafeln von Derain gestaltet. Das Weihevolle wird bei ihm nie dekadent-stimuliert. Es kommt aus den Erscheinungen der Natur. In einem Brief bekennt er: „Was man von dekorativer Wirkung, von Harmonie der Farben und Linien etc. sagt und schreibt, sind Phrasen (...) die Wirklichkeit muß da sein; das Leben.“

Modelle sind seine Kinder und seine Frau. Zu einer Zeit, da der Sachse Fritz von Uhde auf Rembrandts Spuren das Evangelium im Bild zu verweltlichen strebte, gelingt dem Schweizer mit „Maternità“ (1908) eine unaufdringlich sakrale Darstellung der Mutterschaft. (Auch von Uhde wird später malerische Erleuchtung und Lockerung in der Darstellung seiner Töchter finden.) Als ganz in sich verschlossenes Kind betrachtet die Tochter Ottilia 1909 mit Bruder Diego ein Bilderbuch. Vier Jahre später erscheint sie schon als selbstbewußte Jungfrau. Auf einem Porträt von 1915 wirkt „Alberto“ wie ein orientalischer Prinz. Das Grün aus den Pflanzen im Hintergrund spielt belebend in den Hautton von Gesicht und Hand hinein.

Nach einer Skizze van Goghs zur „Brücke von Langlois“ hat Giacometti eine Studie gemalt. Unbefangen erforscht der Maler die Methoden der anderen, ohne dabei sich selbst entfremdet zu werden. Der große Aufbruch in ekstatische Farben und Formen, in den er gestellt ist, reißt ihn mit, wie die Sonne, die im Frühling endlich wieder über die Berge tritt.

Das Elementare liegt ihm stets vor Augen. Auf dem vier Meter langen Bildfries „Säumer am Berninapaß“ (1928) inszeniert er die hindernisreiche und nutzungsfreie Landschaft des Hochgebirges und die Lastenführer mit ihren Hunden und Packtieren zu einem farbigen Welttheater. Auf dem Gemälde „Sommermorgen in Maloja“ (1927) verbindet sich die Reihe der Rinder mit ihren blauen Schatten zu einer Girlande vor dem vom Morgenrot überglänzten Erdreich unter der gleißenden Bergseefläche. Die Wolken heben sich zu Seiten wie Vorhänge.

Wenn er wegen ungünstiger Witterung nicht im Freien malen kann, beobachtet er lieber die Spuren des eindringenden Fensterlichts, als den Lampenschein zu Hilfe zu nehmen. Aber auch dessen Wirkung gestaltet er wirkungsvoll im Bild „Die Lampe“ (1912), auf dem eine Mutter mit Kinderschar, mit friedvoller Handarbeit beschäftigt, um den Tisch versammelt ist.

Für den berühmt gewordenen Sohn Alberto Giacometti bedeutete das Vaterhaus Heimat und eine Möglichkeit friedvollen Rückzugs. Nach dem Tod des Vaters zeichnete er dort Porträts seiner Mutter, deren physiognomische Züge er geerbt hat.

Bei ganz verschiedenem Temperament haben Vater und Sohn mehr gemeinsam, als auf den ersten Blick augenscheinlich wird. Denn die farbige Heiterkeit haftet genauso äußerlich an den Landschaften des älteren Giacometti wie der misanthrope Existentialismus am Werk des Jüngeren. Gemeinsam ist ihnen grundsätzlich das Bestreben, Erscheinendes im Bild anschaulich zu befestigen, ohne es zu ertöten. Einmal die raumschaffende und zugleich raumverzehrende Wirkung des Lichts und andererseits die verunsichernde Erfahrung beziehungsloser Ausdehnung um eine Figur verweisen auf verwandte Erlebnisse.

Die Giacometti-Ausstellung ist noch bis zum 24. Mai im Bündner Kunstmuseum Chur täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen.

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