© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Pankraz,
Sibylle Mania und das Denkmal von Jena

Pankraz ist einiges gewöhnt im Ertragen von politischen Gemeinheiten, aber das, was er im folgenden erzählen will, hat ihn doch überrascht, betroffen gemacht und mit Kummer erfüllt. Alles hat eben seine Grenzen, auch und gerade mentale Strapazierfähigkeit.

In Jena, wo er einst, 1957, als junger Philosophiedozent für einen „Sozialismus mit menschlichem Angesicht“ eintrat und deshalb von der Stasi verhaftet wurde und für viele Jahre im Zuchthaus verschwand, bauen sie in der Gerbergasse 18, wo damals die Stasi residierte, ein Denkmal zur Erinnerung an die politisch Verfolgten in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR. Die Weimarer Künstlerin Sibylle Mania hat es gestaltet. Am kommenden 17. Juni soll die feierliche Einweihung stattfinden.

Das Denkmal besteht aus einem steinernen Berg aufgeschichteter Stasi-Aktenordner, in deren Rücken die Namen der Opfer, um die es in den Akten geht, eingekritzelt sind. Kein Name scheint zu fehlen, Alfred Diener und Werner Nöckel, W. Brednow und D. Fürneisen, Jürgen Fuchs, Doris Liebermann, Matthias Domaschk. Auch kollektive Widerstandsaktionen und regimefeindliche Zusammenschlüsse sind verzeichnet, der „Eisenberger Kreis“, die legendären Physikerbälle an der Universität mit ihren witzigen Sketchen gegen Diktatur und Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die tapfere Kurzdemo der evangelischen Jungen Gemeinde in der Stadtmitte 1969.

Aber eine Akte fehlt doch, die von Günter Zehm, obwohl ihr reales Pendant auffällig dick ist und historisch belangvolle persönliche Vermerke von Walter Ulbricht und Erich Mielke enthält, dazu ellenlange Hetzartikel gegen den Angeklagten im Neuen Deutschland und in der damaligen Volkswacht, die heute Ostthüringer Zeitung heißt. Der Jenaer Stadthistoriker und auch die Künstlerin Mania wissen über Existenz und Inhalt der Akte genau Bescheid. Wieso dann diese Ausgrenzung, diese Opfer-Selektion? Wieso eine steinerne Stasi-Anklage, die sich selber finsterer Stasi-Praktiken bedient?

Die städtischen Behörden, bei denen sich Pankraz erkundigte, nachdem er endlich von der Affäre erfahren hatte, verwiesen auf Sibylle Mania, die sich die Namen „in künstlerischer Freiheit“ ausgesucht habe. Die Künstlerin ihrerseits verweist auf das langwierige Ausschreibungsverfahren und die vielen Diskussionen, die es begleitet hätten. Eine Erinnerungsstätte wie der steinerne Aktenberg in der Gerbergasse sei ja ein historisches Dokument, welches den Fakten die Ehre zu erweisen habe, daran dürfe auch künstlerische Freiheit nichts ändern.

Natürlich ist das richtig, aber es macht den Skandal erst richtig fett. Nicht künstlerische Freiheit also, die subjektiv ist und ahnungslos, auch gewollt ungerecht sein kann, hat zur Nichtaufnahme der Zehm-Akte geführt, sondern die Rankünen einer ausgedehnten Ausschreibungsbürokratie. Ein ausdrücklicher Wille der (rot-grünen) Jenaer Stadtverwaltung zur Selektion und zur Manipulation zeithistorischer Fakten wird erkennbar, Dazu passen auch die merkwürdigen Verlautbarungen, die Pankraz während seiner Erkundungen bei den Behörden sonst noch vernahm.

Leider, so wurde ihm bedauernd mitgeteilt, habe man „nur“ 72 Freiflächen zum Einkritzeln von Namen gehabt, da habe man eben auswählen müssen. Aber der Augenschein erweist, daß man offenbar gar nicht genug Namen Jenaer Widerständler auftreiben konnte, um alle Flächen zu füllen, und so wimmelt es denn auf den Ordnern von Namen, die gar nichts direkt mit Jena zu tun haben. Gorbatschow steht da etwa, Walter Janka, Rudolf Bahro, Vaclav Havel, sogar ein anonymer „fahnenflüchtiger Russe“ ist vermerkt, was immer es mit dem auf sich gehabt haben mag.

Fast routinemäßig verwies man Pankraz auch immer wieder auf die „Konsensfähigkeit“, die solch ein Unterfangen benötige. Es habe jahrelange Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob es in Jena überhaupt ein Denkmal für die SED-Diktatur geben dürfe, angesichts der Nähe von Buchenwald und der „viel schlimmeren Verbrechen“, derer dort gedacht werde. Auch sei Die Linke in der Stadt stark, und die habe sich mit Händen und Füßen gegen den geplanten „Aktenquatsch“ in der Gerbergasse gewehrt. Diesen Leuten habe man auf keinen Fall irgendeinen Vorwand zur Sabotage des Denkmalbaus liefern wollen.

Bewußte Zensurgesinnung der regierenden Kräfte oder Ausfluß bloßer Angst vor rabiater Opposition? Das ist nun die Frage, die sich Pankraz nach all seinen Recherchen stellen kann. Das eine wäre so schäbig wie das andere. „Sei froh, daß du nicht auf diesem dämlichen Steinhaufen eingekritzelt wirst“, meinte ein guter Bekannter. „Das Ganze ist ohnehin nur ein Ausdruck sogenannter neudeutscher Erinnerungskultur, und was von der zu halten ist, weißt du längst: Übertreibung, Unterschlagung, Lüge, Denkverbote, Political Correctness, so weit das Auge reicht. Wer will sich denn da vordrängeln?“

Schon wahr. Aber, wie gesagt, Pankraz ist diesmal doch getroffen, kann nicht achselzuckend einfach zur Tagesordnung übergehen. Ein steinernes Denkmal, so merkt er erstaunt, ist in jedem Falle mehr als irgendeine Eintragung im Stadtarchiv oder im Internet. Erinnerung braucht stabile Säulen. Außerdem ist der Entwurf von Sibylle Mania ja weiß Gott nicht schlecht. Kein donnerndes, überdimensionales Pathos wie in Buchenwald, kein demonstratives Vorzeigen von Wunden, statt dessen ein schlichter Namenskritzel auf den Aktenordnern des Leidens – so und nicht anders sollte moderne Gedenkkultur eigentlich aussehen. Nur so wird eine Gleichheit des Erleidens sichtbar, und das ist die einzige Form von Gleichheit, die man ernst nehmen muß.

Um so deprimierender die Erfahrung, daß man mit Hilfe eines steinernen Denkmals auch aus der Gemeinschaft der Leidenden ausgegrenzt werden kann. Und daß es just die überall gleichen Herren der Aktenordner sind, die ausgrenzen.

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