© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Die pazifistische Form
Politische Zeichenlehre XCVII: Hammer und Sichel
Karlheinz Weissmann

Bei den Mai-Demonstrationen wird man die selten gewordene Gelegenheit haben, sie in der Realität zu sehen: Hammer und Sichel, das Symbol der Kommunisten, in Deutschland nur noch von Kleinstparteien verwendet, aber einmal das Wappen einer Weltmacht Sow-jetunion. Allerdings begann die Geschichte des Sinnbilds, das die Einheit von Proletariern und Bauern zum Ausdruck bringt, schon vor Entstehung der Sowjetunion. Einer Untersuchung von Josef Seiter zur Geschichte der sozialistischen Propaganda verdanken wir den Hinweis auf ein Maifeier-Abzeichen der ungarischen Arbeiterpartei von 1904, das Hammer und Sichel genauso zusammenstellte, wie das später in Rußland geschah.

Auf welchem Weg die Weitergabe erfolgte, ist allerdings unklar. Schon während der Oktoberrevolution sollen die Bolschewiki erste Embleme mit Hammer und Sichel 1917 verwendet haben. Sicher ist das aber nicht. Fest steht nur, daß die Rote Armee die treibende Kraft bei der Durchsetzung war. Allerdings führten die chaotischen Umstände des Bürgerkriegs dazu, daß einheitliche Uniformierung und Ausstattung der Truppen mit Abzeichen und Fahnen nur schleppend vorankam. Abgesehen von der roten Farbe gab es im Grunde bis 1922 kein Symbol mit allgemeiner Geltung.

Angesichts dessen ist nicht überraschend, daß sogar an eine andere Zusammenstellung von Sinnbildern der arbeitenden Klassen gedacht war. Die ältesten erhaltenen Mützenzeichen der Roten Armee zeigten jedenfalls Hammer und Pflug, nicht Hammer und Sichel.

Die Kombination setzte sich erst durch, nachdem die Verfassung der neu gegründeten Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) festlegte, daß ihr Wappen aus einem tartschenartigen Schild bestehe, darin ein goldener Hammer und eine goldene Sichel auf rotem Grund über einer golden strahlenden Sonne, umgeben von Ährenkranz und der Aufschrift RSFSR in kyrillischen Buchstaben; unter dem Schild ein Spruchband mit der Parole „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ in russischer Sprache.

Bemerkenswerterweise hatte ein Entwurf für das Staatssiegel ursprünglich vorgesehen, daß zwischen Hammer und Sichel ein aufrecht stehendes Schwert dargestellt sein sollte, um die Soldaten zu repräsentieren. Aber Lenin hatte das ohne weitere Begründung abgelehnt, und entsprechend war ein Beschluß des Rats der Volkskommissare vom 20. Juni 1918 ergangen, der die dann akzeptierte – „pazifistische“ – Form festlegte.

Alle unter sowjetische Kontrolle geratenen Gebiete des ehemaligen russischen Reiches erhielten nach der Konstituierung eigener Republiken Wappen mit dem Hammer-und-Sichel-Motiv. Insofern war es folgerichtig, daß bei Bildung der Sowjetunion 1922 auch an diesem Konzept festgehalten wurde: Das 1924 festgelegte Hoheitszeichen ließ Hammer und Sichel frei vor einer Weltkugel schweben, um den universalen Anspruch des Kommunismus deutlich zu machen.

Zu dem Zeitpunkt hatten Hammer und Sichel längst Aufnahme in die Propaganda sämtlicher Parteien und Bewegungen gefunden, die mit Moskau sympathisierten. Das mußten – wie der Fall der italienischen Sozialisten zeigt – nicht einmal Kommunisten sein. Die Idee einer Weltrevolution, die vom „Vaterland aller Werktätigen“ ausgehen würde, besaß damals eine heute kaum vorstellbare Anziehungskraft. Umzusetzen war sie allerdings nicht, und erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden kommunistische Regime außerhalb der Sowjetunion. Wo Kommunisten an die Macht gelangten, blieben zwar die Landesfarben erhalten (sieht man von der Volksrepublik China ab), aber man führte regelmäßig ein Wappen nach dem Vorbild des sowjetischen ein. So entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Varianten des Hammer-und-Sichel-Musters: Hammer und Gerstenähre (Ungarn), Hammer und Ährenkranz bzw. Hammer, Zirkel und Ährenkranz (DDR), Hammer, Sichel und Pinsel (Nordkorea), Hammer und Hacke (Kongo), in gewissem Sinn auch: Machete und Zahnrad (Angola), Hacke und Kalaschnikow (Mozambique).

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks verschwand diese Emblematik fast über Nacht. Nur in der „Dritten Welt“ hält sich das Motiv, nicht zuletzt in den verbliebenen kommunistischen Großstaaten China und Nordkorea. Ansonsten haben sich die meisten kommunistischen Parteien nicht nur von ihrer Bezeichnung, sondern auch von Hammer und Sichel getrennt.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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