© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Das Volk in Haftung genommen
Island-Krise: Parlamentsbericht deckt Verantwortlichkeit auf / Keine deutsche Untersuchungskommission
Marco Meng

Der Ausbruch des Vulkans unter dem Eyjafjallajökull-Gletscher hat weltweite Auswirkung: Der Rauch und die Asche aus Island legten den Flugverkehr in halb Europa lahm. Doch in Island brodeln nicht nur Magma und heiße Quellen – nirgendwo sonst platzte die durch Deregulierung angeschwollene Finanzblase 2008 so lautstark wie auf der dünnbesiedelten Vulkaninsel am Polarkreis. Und dies  hatte ebenfalls globale Auswirkungen (JF 45/08). Doch während der Vulkanausbruch ganz natürlich ist, war das finanzielle Desaster Islands keineswegs unausweichlich. Das ist einem über 2.000 Seiten starken Bericht einer Parlamentskommission zu entnehmen, der in der nur 317.000 Einwohner zählenden Inselrepublik auf enormes Interesse stößt. In den Buchhandlungen war die gesamte Erstauflage vorbestellt.

Darin werden der isländischen Regierung sowie der Zentralbank und den Regulierern Fahrlässigkeit und Gesetzesverstöße vorgeworfen. Die drei wichtigsten Banken Islands – Glitnir, Kaupþing und Landsbanki – hatten sich vor der Krise hoch verschuldet. Die erst wenige Jahre zuvor gegründeten bzw. privatisierten Institute kollabierten alle innerhalb einer Woche im Oktober 2008, was das Land, das mittlerweile mit insgesamt 4,6 Milliarden US-Dollar vom Internationalen Währungsfonds und anderen Staaten gestützt wird, an den Rand der Staatspleite brachte. Die drei Banken firmieren inzwischen unter Íslandsbanki, Arion Banki und New Landsbanki.

Die Finanzjongleure sind weg, die Schulden geblieben

Ab 1999 machte man aus der kleinen Kaupþing Bank „das Goldman Sachs von Island“ – mit Auslandsfilialen und „Investmentprodukten“. Die alten isländischen Machtcliquen sorgten dafür, daß die drei großen Banken wie die großen Investmenthäuser international agieren und höchst riskant einen Schuldenberg aufbauen konnten, der Islands  Bruttoninlandsprodukt schließlich um das Zehnfache überstieg. Die Banken wuchsen innerhalb von sieben Jahren um das 20fache. Die Finanzjongleure sind weg, die Schulden geblieben.

Die isländische Währung (Króna) hat fast 70 Prozent an Wert verloren. Die Gesamtverluste aus dem Finanzdebakel beziffert der Rapport auf umgerechnet 47 Milliarden Euro – fast 150.000 Euro pro Kopf der isländischen Bevölkerung. Scharfe Kritik übt die Kommission auch am früheren Ministerpräsidenten und späteren Zentralbankchef Davíð Oddsson. Der wirtschaftsliberale Politiker von der Unabhängigkeitspartei war Initiator der Bankenreformen, die eigene Parteigänger begünstigten. Mit Steuersenkungen heizte er den vermeintlichen Wachstumskurs weiter an.

Die auch privat hochverschuldeten Isländer haben im März in einem Referendum die Übernahme der Bankenschulden mit 93,2 Prozent abgelehnt. Vor dem isländischen Parlament (Althing)  war es nach den Bankenpleiten erstmals seit den Protesten gegen den Nato-Beitritt 1949 zu gewalttätigen Übergriffen gekommen. Im Juni soll nun der Europäische Rat in Brüssel über konkrete EU-Beitrittsverhandlungen entscheiden. Die Regierungen Großbritanniens und der Niederlande könnten dies blockieren, da Islands Staatspräsident Ólafur Ragnar Grímsson mit seinem Veto das Referendum ermöglichte, das die Rückzahlung von Milliardenverbindlichkeiten an diese beiden EU-Länder abgelehnt hat. Island und nicht die zusammengebrochenen Banken „schuldeten“ Großbritannien und den Niederlanden rund 5,3 Milliarden US-Dollar, nachdem London und Den Haag rund 340.000 eigene Anleger per Vorkasse entschädigt hatten – so deren Argumentation. Dagegen fragen sich die Isländer, warum sie als Steuerzahler für diejenigen Vermögen haften soll, welche die Niederländer und Briten gegen höhere Renditen und hohes Risiko bei den Privatbanken angelegt hatten.

Die Krise ist wie der Vulkanausbruch keine rein isländische Angelegenheit, auch österreichische Geldhäuser hatten rund drei Milliarden Euro in Island veranlagt, während deutsche Institute sogar mehr als 25 Milliarden bei isländischen Geldhäusern und sonstigen Kreditnehmer ausstehen haben. Letzteres sind allerdings „Peanuts“, wenn man bedenkt, daß die deutschen Geldinstitute gegenüber Irland Forderungen von rund 241 Milliarden US-Dollar haben. Und auch auf der grünen Insel regt sich Widerstand gegen den Steuerzahlertribut an die Banken: „They Deserve To Be Shot“ (Sie verdienen es, erschossen zu werden), titelte der Irish Daily Star zu den Bildern der Ex-Bankchefs Sean FitzPatrick (Anglo Irish Bank) und Michael Fingleton (Irish Nationwide).

Private Bankenschulden wurden zu Staatsschulden

Eine ähnlich schonungslose Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten in Deutschland gibt es bislang nicht (JF 16/10). Dabei wurden auch hier Milliarden an Steuergeldern für die Stützung der Landesbanken und die Not- und Teilverstaatlichungen von Commerzbank, HRE oder IKB verbrannt. Jetzt kommen neue Risiken durch die geplante Griechenland-Hilfe hinzu, die in Wahrheit nicht den Griechen, sondern den Gläubigern im Ausland (darunter deutschen Banken) aus der Patsche helfen soll.

Angesichts dieser Dimensionen sind die Berichte des Bundes der Steuerzahler über Verschwendung oder irrwitzige Aktionen wie die Abwrackprämie ebenfalls nur „Peanuts“. Wie lange kann es gutgehen, wenn ständig neue Rekordschulden in den Etats eingeplant werden? Der Schuldenberg des Bundes summiert sich mittlerweile auf über eine Billion Euro, wofür jährlich über 40 Milliarden Euro Zinsen fällig werden. Die Zinszahlungen sind damit der zweitgrößte Haushaltsposten. Ob die schlummernden deutschen Vulkane in der Hocheifel jemals wieder Lava spucken werden, weiß niemand – daß der deutsche Schuldenturm irgendwann in sich zusammenstürzen wird, ist hingegen nur eine Frage der Zeit.

Der „Report of the Special Investigation Commission“ im Internet: http://sic.althingi.is/

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