© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Selbstverständlicher Patriotismus
Die polnische Hauptstadt Warschau in Trauer: Bewegender Abschied von Präsident Lech Kaczynski
Christian Rudolf

In Tagen kollektiver Not, von Schicksalsschlägen, von tragischen Ereignissen, die das Gemeinwesen im Ganzen erschüttern, erweist sich der Wert von Bräuchen und Traditionen und eines fest in den Herzen der einzelnen verwurzelten Patriotismus. Wer nach dem Flugzeugabsturz von Smolensk (JF 16/10) während der einwöchigen Staatstrauer Polens Gelegenheit zu einem Besuch an der Weichsel hatte, konnte eindrucksvoll erleben, welche Haltekraft dem polnischen Volk aus seinen ungebrochenen Traditionen, einer die politischen Lager umspannenden Vaterlandsliebe und dem christlich-katholischen Glauben erwächst.

Sirenenheulen, Glockenläuten, Salutschüsse

Polen hat Abschied genommen von seinem Präsidenten Lech Kaczyński und dessen Gattin Maria Kaczyńska. Und das Wie dieses Abschieds ist es, das in dem deutsche Nüchternheit gewohnten Beobachter Bewunderung und Mitgefühl hervorruft. Ob in kleinen Ortschaften oder der Hauptstadt Warschau, an den Häusern und Wohnblocks weht die polnische Nationalflagge, versehen mit Trauerflor. Einen schwarzen Balken tragen die Zugzielanzeiger der Fernzüge, mit Trauerflor versehen sind die Fahnen, die aus den Omnibussen des Warschauer Nahverkehrs flattern und die auf den Stationen der U-Bahn hängen. Die Reklametafeln in den Waggons sind überklebt mit schwarz-grauen Plakaten, darauf der Text: „Smolensk. 10. April 2010. Maria und Lech Kaczyński“ und die Namen aller weiteren 94 Opfer. Sämtliche Litfaßsäulen der Innenstadt tragen ebensolche Plakate.

Allenthalben stehen kleinere und größere Ansammlungen entzündeter Grablichter – ein Meer davon vor dem Amtssitz des toten Präsidenten und seiner Frau. Noch in der Nacht vor der offiziellen Trauerfeier für die Verunglückten beträgt die Wartezeit in der unübersehbar langen Menschenschlange vor dem Präsidentenpalast etwa zehn Stunden. 180.000 werden es am Ende gewesen sein, die vor den aufgebahrten Särgen, sich bekreuzigend, vorbeidefiliert sind.

Um 8.56 Uhr läuten am vergangenen Samstag alle Warschauer Kirchenglocken: Um diese Uhrzeit zerschellte genau eine Woche zuvor die Präsidentenmaschine im Landeanflug vor Smolensk. Hunderttausend Menschen, zumeist festlich gekleidet, strömen mittags auf dem Piłsudski-Platz im Zentrum zusammen. Zweitausend junge Pfadfinder, die aus polnischer Tradition bei Massenveranstaltungen von staatspolitischer Bedeutung Ordneraufgaben übernehmen, versehen uneigennützig ihren Dienst, teilen Tee und Wasser aus. An der Ostseite des Platzes zeigt eine Wand aus schwarzer Stoffbahn die Porträts aller Toten – die des Präsidentenehepaars sind in den Nationalfarben Weiß-Rot umrahmt.

Auch Papst Benedikt XVI. hatte Rosenkränze geschickt

Zwei Minuten lang heulen die Sirenen. Die Namen aller Opfer werden verlesen. Eine Ehrenkompanie Soldaten feuert drei Salutschüsse ab, die Nationalhymne erklingt, in die die Menge einstimmt: „Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben!“ Es folgen Ansprachen, unter anderem von Premierminister Donald Tusk. Ganz selbstverständlich ist die Rede vom Volk, das in den Tagen der Not zusammensteht, von der gemeinsamen tragischen Geschichte, von Ehre für diejenigen, die während ihres Dienstes am Vaterland ihr Leben verloren, von der fortwährenden Verpflichtung gegenüber Polen.

Eine heilige Messe schließt sich an. Das Volk vereinigt sich im Gesang der alten Kirchenlieder und der Kommunion. Im Anschluß läßt der päpstliche Nuntius an jede Familie, die einen Angehörigen bei der Katastrophe verloren hat, einen Rosenkranz ausgeben – Papst Benedikt XVI. hatte sie extra aus Rom schicken lassen.

Ob bei der Trauerfeier in Warschau oder anderntags in Krakau, wo das Ehepaar Kaczyński seine letzte Ruhe fand: Die Worte, die Gesten, die Form, in der man den Toten Respekt erweist – Polen zeigt, was es heißt, eine Nation zu sein.

Foto: Zentrale Trauerfeier, Premier Tusk während seiner Rede: Ein Volk, im Schmerz vereint und gefestigt

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