© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Den Soldaten in die Seele schauen
Bundeswehr: Der Benediktinerpater Jonathan Göllner kümmert sich als Militärseelsorger um die Truppe in Afghanistan
Christian Rudolf

Herr Pfarrer, ich habe heute auf einen geschossen, und der ist umgefallen. Ich weiß nicht, ob er tot ist, aber davon gehe ich aus. Was mache ich nun?“ Der Benediktinerpater Jonathan Göllner redet nicht um den heißen Brei herum, wenn er seine Aufgaben als Militärseelsorger schildert. Er kennt die Einsatzbedingungen der Bundeswehrsoldaten, ihren Alltag, ihre Nöte. Zweimal war er mehrere Monate mit der deutschen Truppe in Afghanistan. Zuerst im größten Feldlager Mazar-e Sharif, als der Norden noch für ruhig galt. Dann im Feldlager Kundus, dessen Situation sich grundlegend verschlechtert hat.

„Heute haben wir ein völlig anderes Klima“, verdeutlichte Göllner die gefahrvolle Lage in Afghanistan während eines Vortrags in der Katholischen Akademie Berlin. Für die Soldaten sei es eine kriegerische Auseinandersetzung. Das mache sich bemerkbar – auch als Angriff auf die Seele. „Lange Zeit hat es unsere Politik versäumt, klar zu sagen, was in Afghanistan Sache ist.“ Nicht alle Verletzungen sind sichtbar. Über die seelischen Folgen des Einsatzes am Hindukusch weiß der Militärpfarrer aus erster Hand zu berichten.

94 katholische und etwas mehr als hundert evangelische Militärseelsorger stehen im Dienst des Bundesverteidigungsministerium. Die Pfarrer sind bei der Einsatzvorbereitung dabei und lernen die Soldaten schon in Lehrgängen und Übungen am Heimatstandort kennen. Ganz wichtig ist es auch, etwas über den persönlichen Hintergrund zu wissen. „Die Familie ist mit im Einsatz“, weiß Göllner. Die Aufgaben der Militärseelsorge sind so vielfältig wie die Menschen. „Meine Hauptaufgabe ist tatsächlich: Kaffeetrinken – wenn’s ein guter Tag ist.“ Von Tür zu Tür gehen, den Technikern über die Schulter schauen, „ganz wichtig: zuhören“. Es sind die Soldaten selbst, die einen Geistlichen dabeihaben wollen. Die Schweigepflicht hilft, Vertrauensperson zu sein, einfach mal etwas abladen können. „Wir gelten als Maskottchen, Glücksbringer, Truppenpsychologe – und sind Grenzgänger: Wir kennen die Bundeswehr, sind aber keine Soldaten“, beschreibt der Benediktinerpater seinen Status in der Truppe. Wie die Männer unter Waffen tragen auch die Seelsorger Flecktarn. Die Unterscheidung macht das Kreuz auf den Schulterklappen.

Göllner hat die katholische Kapelle im Lager Mazar-e Sharif eingeweiht. Doch im Einsatz geht es nicht ohne Ökumene. Ein Drittel der Kameraden ist katholisch, ein Drittel evangelisch, ein weiteres Drittel konfessionslos. Für diese sei ein Pfarrer neutrales Terrain: „Die haben auch keine schlechten Erfahrungen mit der Kirche gemacht“. Die stellten dann fest: „Ein Pfarrer ist ja auch ein ganz normaler Mensch, der morgens verschlafen aus dem Container kriecht, in der Schlange zum Frühstück ansteht.“ Neugierige Fragen kommen gerade von jenen Nicht-Religiösen: Wie das denn so gehe, immer ohne Frau. „Ich gebe die Frage dann zurück: Und wie ergeht es Ihnen, monatelang ohne Ihre Freundin?“

Stichwort: Zerbrochene Ehen. Die Frau weggelaufen, ein Liebhaber eingeschlichen. Entfremdete Familien. Die Kinder, zumal kleine, lehnen den Papa nach dessen langem Fehlen ab. Veränderte Lebensmuster: „Die Ehefrau holt ihren heimkommenden Mann vom Flughafen ab. Monatelang war sie es gewohnt, den Wagen zu steuern. Wie selbstverständlich sperrt sie auf, setzt sich ans Lenkrad. Der Mann verdutzt. Da haben sich die beiden noch keine zehn Minuten gesehen, und schon ist der erste Streit da“, schildert Göllner einen typischen Fall.

Der Einsatz verändert aber vor allem die Soldaten selbst. Keiner kehrt als derselbe wieder in die Heimat zurück. Zu extrem die bösen Erfahrungen mit ständiger Bedrohung, Angriffen, Hinterhalten, schweren Verletzungen, toten Kameraden gar. Mancher findet sich in der Heimat nicht wieder zurecht. Zwischen neun und zwölf Prozent von ihnen kommt traumatisiert zurück – doch darüber wird erst seit eineinhalb Jahren gesprochen. Soldaten, die im Dienst verwundet wurden, kämpfen oft jahrelang und häufig vergeblich um die Anerkennung als Wehrdienstbeschädigter.

Als Militärseelsorger wolle er „Zeichen des Heils in einer unheilen Welt“ sein, so der Pater. Eindringlich appellierte er an Regierung und Öffentlichkeit: „Wir müssen auch das mittragen, was im Einsatz mit den Soldaten geschieht, wenn wir sie schon in den Krieg schicken.“ Erst vergangene Woche fielen wieder vier deutsche Soldaten in Afghanistan. Die seelischen Narben erregen noch weniger Aufsehen.

Foto: Feldgottesdienst im Feldlager Kundus (2009): „Kaffeetrinken – wenn’s ein guter Tag ist“

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