© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Kolumne
Kampfansage an kritische Journalisten
Rolf Dressler

Irgendwie hängt eben doch alles mit allem zusammen – sagt der dennoch sicherlich nicht unendlich weise Volksmund. Und das gilt nicht nur, aber gerade auch für Brüssel, das Schalten-und-Walten-Oberzentrum der Europäischen Union.

Ausgerechnet dort braut sich jetzt ein absonderliches Stück aus dem Tollhaus zusammen. Ginge es nach dem Willen der gut 45.000 bestens dotierten Zuarbeiter der EU-Beamtenschaft, sollte die Europäische Kommission schnellstmöglich eine schlagkräftige Extrabehörde einrichten. Eine Behörde, wie es zuvor im Zeitalter der vielbeschworenen Informations- und Meinungsfreiheit wohl noch nie  eine gegeben hat: ein Abwehramt für Desinformation.

Auch wenn man es kaum glauben mag, völlig losgelöst von Demokraten-Skrupeln verlangt eine der einflußreichsten und mitgliederstärksten Interessenvertretungen des EU-Personals in einem Offenen Brief an Kommissionspräsident Manuel Barroso doch tatsächlich eine „Spezialzelle im Sprecherdienst“ mit einer wahrlich denkwürdigen Rundum-Aufgabenstellung. Das Feindbild läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig – die Kampfansage: Von „schlecht informierten oder böswilligen Journalisten“ verfaßte Presseartikel und „übereilte und schlecht recherchierte Behauptungen“ und „Attacken“, die die Bediensteten der EU „zu Prügelknaben“ machten, müßten künftig unter allen Umständen rigoros, sprich „schnell und systematisch zurückgewiesen werden“.

Es empfiehlt sich, sehr genau hinzuhören. Denn irgendwie – Nachtigall, ick hör die trapsen – klingt da doch so etwas wie ein Blockwart- und Spitzeldenken unseligen Angedenkens durch. Man stelle sich das einmal vor: Wer denn wohl in der Brüsseler Wagenburg soll und kann darüber richten und rechten, wann und wo „von anti-europäischen Lobbys gelenkte Medien“ ihre angeblich „schändlichen Attacken“ gegen Brüssel reiten und wie konkret solche Presseberichte und Kommentare dann obendrein auch noch von „populistischen Interessengruppen“ dazu mißbraucht würden, der EU und dem Europa-Gedanken überhaupt übel nachzureden?

Schon seit Jahr und Tag lehrt die Alltagserfahrung: Jedwede Kritik an „Brüssel“, mag sie auch noch so seriös begründet sein, trägt dem Kritiker sogleich offen oder unterschwellig den Generalverdacht ein, mit diesem EU-Großeuropa 2010 im Grunde nichts am Hut zu haben. Aber auf derlei Totschlag-„Argumente“ verstehen wir Deutsche uns ja bekanntlich ganz besonders gut – leider.

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist.

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