© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Die Welt ist nicht genug
Wüstensand im Getriebe: Für manche Touristen hat die Wirtschaftskrise Dubai als Reiseziel erst attraktiv gemacht / Reportage aus einer Metropole der Gigantomanie
Hinrich Rohbohm

Die Welt liegt zu Füßen: Europa, Amerika, Asien, Afrika, Australien. Wie kleine Inseln sehen die Kontinente aus, während die Boeing 777 beim Landeanflug auf Dubai über sie hinweg düst. Es sind tatsächlich Inseln, jenes der Erdkugel nachempfundene Ensemble: künstlich erschaffen, mit Hilfe unzähliger Tonnen Sand, wenige Kilometer vor der Küste von Dubais Prunkstadtviertel Jumeirah.

Prunk? Das dürfte leicht untertrieben sein. Die Stadt am Persischen Golf in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist im Verlauf des letzten Jahrzehnts zu einer Metropole der Gigantomanie geworden. „The World“, wie die Nachbildung unseres Planeten aus 270 künstlichen Inseln heißt, ist eines dieser gigantischen Projekte. Gesamtkosten: 7,6 Milliarden US-Dollar. 150.000 Menschen sollen hier leben, 20.000 Boote die für den Tourismus aufgemotzten Sandhaufen miteinander verbinden.

Doch „The World“ ist nicht genug für die Scheichs des gleichnamigen Emirats, das vor einem halben Jahrhundert noch ausschließlich von Wüste und bescheiden lebenden Fischern geprägt war. Durch die Fenster des Jets schimmert ein weiterer Wüstentraum inmitten des hellblauen Meerwassers: eine aus 200 Millionen Kubikmetern Sand aufgeschüttete Palme, deren vier Kilometer langer und 600 Meter breiter Stamm sich von der Küste Jumeirahs aus in das offene Meer hineingebohrt hat, ehe sich an seinem Ende die 17 miteinander verbundene Palmenwedel darstellenden Sandhügel in alle Richtungen ausbreiten. Dieses Projekt hat nochmals 1,5 Milliarden US-Dollar verschlungen.

Auf Augenhöhe zur im Sinkflug befindlichen Maschine der Emirates Airlines ragt Burj Dubai in die Höhe, seit seiner Einweihung am 4. Januar dieses Jahres Burj Khalifa genannt. Mit seinen 830 Metern ist der „Turm“ mit 163 Etagen und 57 Aufzügen das höchste Gebäude der Welt.

„Wir sind schon stolz darauf“, meint Nasir, während er mit seinem Mercedes-Taxi in Richtung des Riesen aus Stahl, Beton, Glas und Aluminium steuert. Wie die inzwischen gelandete Emirates-Maschine ist auch er seit der Wirtschaftskrise auf dem Boden der Realität angekommen. „Zu wenig Gäste“, klagt er sein Leid.

Seit Scheich Muhammed bin Raschid Al Maktum, Herrscher des Emirats von Dubai, Ende November erklärte, daß die zur Finanzierung der Wunderwerke benötigten Kredite nicht zurückgezahlt werden könnten, herrscht erneut Aufbruchstimmung am Golf.

Es ist der Aufbruch zum Abbruch von Investitionen. Luxus-Apartments bleiben ohne Besitzer, neu errichtete Hotels ohne Gäste.

„Aber gerade das macht Dubai für uns wieder attraktiv“, meint ein deutsches Ehepaar aus Nürnberg, das in Turnschuhen, weißen Hosen und in Polohemden gekleidet entspannt durch die „Old Town“ schlendert. „Old Town“, das ist ein in altarabischer Architektur errichteter Luxuskomplex, ausgestattet mit kleinen arttypischen Einkaufsmärkten, sogenannten Souks, am Fuße des Burj Khalifa.

Das Paar genießt die angenehmen 20 Grad, den wolkenlosen Himmel, die zahlreichen Wasserspiele und künstlich errichteten Seen, die „Old Town“ ihren besonderen Reiz verleihen. Der Komplex ist der erste bereits fertiggestellte Teil von „Downtown Dubai“, einem vollkommen neuen Stadtviertel, das  demnächst aus 320.000 Apartments bestehen soll. „Durch die Krise sind die Unterkünfte so günstig wie nie“, sagt das Ehepaar. Bereits zum siebten Mal seien sie nun hier – stets zu den Wintermonaten, wenn es im Wüstenstaat sehr erträglich ist und noch nicht zu heiß.

Im Frühjahr vorigen Jahres wurde in „Old Town“ die größte Springbrunnenanlage der Welt eröffnet. Mitten im größten der künstlichen Seen und direkt vor dem Burj Khalifa gelegen erstreckt sie sich auf einer Länge von 275 Metern. Wenn es dunkel wird, empfiehlt es sich, hier zu verweilen – etwa in einem der zahlreichen am See befindlichen Restaurants mit zumeist internationaler Küche.

Ab 19 Uhr, wenn sich die Lichter des Burj Khalifa bereits im See spiegeln, entfachen die Springbrunnen ein einmaliges Wasserschauspiel. Orientalische Musik erklingt, Wasserfontänen schießen bis zu 150 Meter in den sternenklaren Nachthimmel empor, eingehüllt in ein goldenes Licht, während andere Fontänen einer Bauchtänzerin gleich sich elegant im Rhythmus der Musik bewegen. Alle 20 Minuten bereiten die zischenden, nassen Gebilde in einem beeindruckenden Zusammenspiel von Licht und Melodie dem sich den Gaumenfreuden hingebendem Gast einen Augenschmaus als Dessert.

Den besten Blick auf das visuelle Highlight hat man von der geschwungenen Brücke aus, die über den See führt und „Old Town“ mit der im November 2008 eröffneten Dubai Mall verbindet, einem der größten Einkaufszentren der Welt. Kunsteisbahnen, 24 Meter hohe Wasserkaskaden sowie der größte Goldsouk der Welt sind nur einige Attraktionen der Mall. Ein Aquarium mit 70 Zentimeter dicken Acrylglasscheiben erstreckt sich mit seinen 10.000 Kubikmetern Seewasser und Tausenden Meerestieren gleich über drei Etagen.

Doch irgendwie scheinen derzeit alle Attraktionen rund um den Burj Khalifa unter dem Turmbau-zu-Babel-Syndrom der Wirtschaftskrise im Emirat zu leiden. Schlimm genug, daß die Prestige-Objekte auch in finanzieller Hinsicht auf Sand gebaut sind. Doch auch in den Wunderwerken selbst ist noch Wüstensand im Getriebe. Vorigen Monat blieb der Fahrstuhl zur Aussichtsplattform des Burj Khalifa mit einer Gruppe Touristen stecken. 45 Minuten mußten die Aussichtshungrigen in dem defekten Gefährt ausharren. Dann mußte auch noch das Aquarium in der Dubai Mall geräumt werden. Das Glas hatte einen Sprung bekommen, Wasser war ausgetreten.

„Wir kommen aber trotzdem wieder“, bleibt das Rentnerpaar aus Bayern optimistisch. Denn: „Diese Stadt verändert sich jedes Jahr aufs neue.“

 

Stichwort: Dubai

Andere Länder, andere Sitten: Dieser Spruch gilt besonders für die Vereinigten Emirate (VAE). Wer sich den Glanz von Dubai vor Ort ansehen möchte, sollte sich vor der Reise mit Recht und Gebräuchen des Wüstenstaats vertraut machen – insbesondere wenn man sich länger dort aufzuhalten gedenkt. Denn in den VAE gilt die Sharia, deren Anwendung zu aus europäischer Sicht schockierenden Maßnahmen führen kann.

So ist es gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise beispielsweise wichtig zu wissen, daß nach den Gesetzen des Dubai-Emirats Schulden innerhalb von 30 Tagen zurückzuzahlen sind. Geschieht das nicht, droht die Inhaftierung. Ein in westlichen Ländern in einem solchen Fall übliches Insolvenzverfahren kennt das Rechtssystem der Emirate nicht.

Einem Bericht des ZDF zufolge soll ein Schuldner von einem Mitglied der Herrscherfamilie sogar mit Schüssen und Schlägen malträtiert und mit einem Geländewagen überfahren worden sein – ohne rechtliche Konsequenzen für den Gläubiger.

Vorsicht ist auch beim Genuß von Alkohol geboten. Das Trinken von Hochprozentigem ist zwar trotz Sharia in den meisten Hotels von Dubai erlaubt. Doch bereits im Nachbar-Emirat Sharjah sind Spirituosen strikt untersagt. Ein junges britisches Paar wurde laut einem Bericht der Bild-Zeitung  im Januar dieses Jahres verhaftet, weil es ausgesagt hatte, Alkohol getrunken zu haben.

Eigentlich hatte das verlobte Paar seinerseits eine Anzeige aufgeben wollen, da die junge Frau (23) auf dem Gang zur Toilette von einem Kellner vergewaltigt worden sei. Bei der Polizei kam im Gesprächsverlauf jedoch der Alkoholgenuß heraus – und daß das Paar bereits vorehelich verkehrte, was nach der Rechtsprechung des Emirats ein Vergehen darstellt.

Küsse und Umarmungen in der Öffentlichkeit sind ebenfalls verboten. In der vergangenen Woche wurde deswegen ein junges britisches Paar zu einem Monat Gefängnis verurteilt, nachdem es beim Kuß in einem Restaurant von Jumeirah Beach erwischt wurde.

Besonders das weibliche Geschlecht ist gehalten, trotz hoher Temperaturen die Kleidung nicht kurz ausfallen zu lassen. Miniröcke sollten daher besser zu Hause gelassen werden. Auch am Strand ist Vorsicht geboten. Für sonnenhungrige Damen ist das Baden ohne Oberteil absolut tabu und kann in den Arabischen Emiraten  ebenfalls zu einer Freiheitsstrafe führen.

Ferner müssen Besucher mit Einschränkungen zur Fastenzeit Ramadan rechnen. Die Öffnungszeiten in Bars und Restaurants sind dann stark eingegrenzt, Alkohol sogar im freizügigeren Emirat Dubai deutlich seltener erhältlich. Auch Live-Veranstaltungen sind dann eher die Ausnahme. Der Vorteil dabei: Zum Ramadan sind die Hotelpreise besonders günstig. Die Fastenzeit beginnt in diesem Jahr am 11. August und endet am 9. September.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen