© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Ausnahmezustand
Sekundenschnelle Impressionen: Hausmanns Begegnungen
Harald Harzheim

Als Dichter ist Manfred Hausmann in Vergessenheit geraten. Einst erschien sein Werk, vom legendären Samuel Fischer persönlich entdeckt, im gleichen Verlagsprogramm wie Hermann Hesse. Einst applaudierten ihm Studenten für seinen Roman „Abel mit der Mundharmonika“ (1932). Einst verkauften Hausmanns Bücher sich millionenfach, und sein Kopf zierte später sogar eine Briefmarke – trotzdem starb er 1986 im Alter von 87 Jahren als Unbekannter. Zeit also, eine mögliche Wiederentdeckung zu prüfen.

Die könnte mit seinen „Kleine  Begegnungen mit großen Leuten“ beginnen, von der Ende vorigen Jahres neugegründeten Edition Apollon jetzt als Hörbuch adaptiert. Diese „Begegnungen“ sind nicht mit „Freundschaften“ zu verwechseln. Oft genug bietet Hausmann nur sekundenschnelle Impressionen, wenn er Max Reinhardt im Theater oder Knut Hamsum auf dem Lehrter Bahnhof (Berlin) beobachtet. Aber das Fehlen an intimer Bekanntschaft wird wettgemacht durch die Einmaligkeit der Situation: So erlebt er Reinhardts stoische Reaktion auf zusamenbrechende Bühnenbilder bei laufender Inszenierung und Hamsun nach einem desaströsen Gespräch mit Hitler. Augenblicke, die den Charakter der Beschriebenen wie unter Röntgenstrahlung freilegen.

Es ist Hausmanns Beobachtungs- und Imaginationsgabe, die diesen Skizzen Interesse abverlangt – so auch bei der Weimarer Lesung des Expressionisten und späteren NS-Dichters Hanns Johst. Der machte aus seinem Drama „Der König“ eine ungestüme Lese-Performance, dafür enttäuschte dessen spätere Aufführung maßlos. Johsts Persönlichkeit war imposanter als sein Werk.

Umgekehrt verhielt es sich bei Thomas Mann. Dessen Kühle und Verschlossenheit wirkte auf den Studenten Hausmann zunächst ernüchternd, aber die distanzierte Lesung eines autobiographischen Textes erzeugte langsame, unaufhörliche Sogwirkung. Thomas Mann, so glaubt der Porträtist, war einerseits von „kühner Männlichkeit“ geprägt, andererseits von Empörung über das Welten-Chaos gepackt. Sein Werk, das war der sisyphosartige Versuch, den Konflikt in Form zu bringen.

Eine andere Episode erzählt, wie der junge Hausmann, überzeugter Kommunist, beim Kirchenbesuch seine wahre Revolution fand. Das Gotteshaus hatte er nur seiner Eltern wegen betreten, aber die Predigt versetzte ihn in den Ausnahmezustand. Dem Ratiogläubigen wurde die Hilflosigkeit des Geistes offenbar. Der Name des Predigers: Karl Barth.

Hausmanns Prominentenliste umfaßt noch die Schriftsteller Ernst Wiechert und Joachim Ringelnatz, die Verleger S. Fischer und Peter Suhrkamp, den Theaterwissenschaftler Arthur Kutscher sowie den Atomphysiker Otto Hahn. Auch die Politik ist mit Prinz Louis Ferdinand und Prinzessin Kira von Preußen vertreten.

Zuletzt stellen die Skizzen, angenehm vorgetragen durch Peter Bieringer, bei allem Unterhaltungswert vor die Frage: Rechtfertigen sie eine Wiederentdeckung des Autors? Spontan möchte man verneinen, da ertönt plötzlich, am Schluß des Hörbuchs, die Stimme von Hausmann persönlich. Es ist der Mitschnitt einer späten Rede. Thema: die seelische Verwüstung, hervorgerufen durch unreflektierte Nutzung moderner Technik. In wenigen Sätzen zeichnet Hausmann eine Horrorvision des modernen Lebens, setzt aber Hoffnung auf die Wenigen, die sich verweigern, ihre Psyche schützen, die Armen und Gebrechlichen nicht „wegwerfen“.

Unterstrichen durch seine melancholische Stimme, erzielt Hausmann eine Eindringlichkeit, die alle vorherigen Skizzen vergessen läßt – die ihn als Christen im Sinne Kierkegaards turmhoch über lauwarme Gegenwartsmoralisten hebt. Schon dieser kurze Text lohnt die Anschaffung.

Manfred Hausmann: Kleine Begegnungen mit großen Leuten. 2 CDs mit Beiheft, Edition Apollon, 2009, Gesamtlaufzeit: 156 Minuten, 21,99 Euro

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