© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Eine würdige Nachbarin
Weltbürgerin: Agnes Miegel soll aus dem Kreis deutscher Edelfedern verstoßen werden
Dirk Herrmann

Agnes Miegel hat in Neuenkirchen/St. Arnold eine erstklassige Nachbarschaft: nicht nur die Literaturnobelpreisträger Thomas Mann und Gerhart Hauptmann, sondern auch Storm, Kleist, Goethe, Hölderlin – sozusagen die Crème de la Crème der deutschen Literaturgeschichte ist zumindest auf den Straßenschildern des Ortes von der Agnes-Miegel-Straße aus in wenigen Minuten zu erreichen

Nun wird im Münsterland überlegt, ob die Königsbergerin Namensgeberin der Straße bleiben soll, oder ob man sie aufgrund ihres Verhältnisses zum Nationalsozialismus heute nicht mehr in dieser Form würdigen möchte. Am 13. April hatte der Bürgermeister des Ortes Franz Möllering (CDU) zu einer nichtöffentlichen Aussprache mit den Anwohnern gebeten. Im fünfzig Kilometer entfernten Vorhelm geschah dies jüngst öffentlich – mit dem Ergebnis, daß sich die Anlieger trotz der Einwände der ortsansässigen Christdemokraten für den Erhalt ihres Straßennamens aussprachen. In der eigens dafür anberaumten Bürgerversammlung wurde hitzig diskutiert: Geistliche seien ausgebuht und „am Ende (…) sogar jahrzehntelange Duz-Freundschaften öffentlich aufgekündigt“ worden, so die Münsterländische Volkszeitung.

Mehrere Schulen und Straßen in Deutschland haben sich jedoch von ihrer ostpreußischen Namensstifterin bereits getrennt. Eine Osnabrücker Realschule trägt seit dem 1. Februar dieses Jahres den Namen Bertha von Suttners (JF 26/09) und eine Bildungsstätte am Niederrhein wurde bereits vor zwei Jahren in Astrid-Lindgren-Schule umbenannt.

Die örtliche CDU gefällt sich als Gedichtauslegerin

Auch andere Namensgeber von Schulen gerieten postum in die Kritik: Peter Petersen und Ernst Moritz Arndt sollten von ihren Sockeln in Jena und Greifswald gestoßen werden (JF 12/10). Doch auch hier stieß man auf zum Teil energischen Widerstand. Die Universität an der Ostsee behält ihren Namen, und in der Saalestadt soll erst Ende dieses Jahres endgültig über eine Umbenennung entschieden werden.

Der NDR hat Anfang des Jahres eine reißerische Karte mit „Deutschlands schönsten Schulnamen“ ins Internet gestellt. Darauf sind nicht nur die unzähligen Petersen-Schulen verzeichnet, sondern auch solche, die die Namen des Raketeningenieurs Wernher von Braun oder des Chirurgen Ferdinand Sauerbruch tragen. Man betont, eine „unvollständige und noch zu ergänzende Auswahl“ zu zeigen.

Was wirft man Agnes Miegel konkret vor? Sie sei nicht nur Mitglied der NSDAP und der NS-Frauenschaft gewesen und zwischen 1933 und 1945 mehrfach geehrt worden. Darüber hinaus habe sie Hitler und dessen Ostpolitik in mehreren Gedichten verherrlicht und auch nach Kriegsende keine Reue für ihr Verhalten gezeigt. Dabei stützt man sich auf „neuere Forschungen“,  ohne Quellen zu benennen. Agnes Miegels Leben und Werk wird weder in seiner Gesamtheit noch differenziert betrachtet, sondern bloß diffamiert. Experten werden fast nie gehört; statt dessen gefällt sich die ortsansässige CDU als Gedichtauslegerin.

Hätte man Bodo Heimanns kürzlich publizierten Vortrag zur Kenntnis genommen, wüßte man, daß Agnes Miegel ihre Stoffe aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen bezog und oft das Wort für die Unterlegenen der Geschichte ergriff. Als „Weltbürgerin der Poesie“ bezeichnet sie der Kieler Literaturwissenschaftler – ihr Gesamtwerk überblickend – deshalb. „Ihre Gedichte feiern keinen Drang nach Osten oder irgendeine Ideologie, sondern zeigen das Menschliche in den Konflikten“, so Heimann. Nicht grundlos hat auch Marcel Reich-Ranicki die Gedichte der Königsbergerin in seinen Kanon aufgenommen. Ein Blick in die 2009 erschienenen frühen Briefe an Lulu von Strauß und Torney beweist, daß die junge Agnes Miegel ihrer Epoche – der beginnenden Moderne – nicht etwa abgeneigt gegenüberstand, sondern lebhaftesten Anteil daran hatte, was nach der Jahrhundertwende Literatur und Gesellschaft beherrschte und veränderte.

Die Wilhelmshavener Agnes-Miegel-Schule, die sich nun auch umbenennen wird, betont (noch) auf ihrer Internetpräsenz die „ungewöhnlich große dichterische Begabung“ der Ostpreußin, die kein Literaturkenner anzweifeln wird. Bertha von Suttners Wahlspruch lautete: „Die Waffen nieder!“ Agnes Miegels Bekenntnis ist weitreichender: „Nichts als den Haß zu hassen“. Auch wenn eine Handvoll ihrer Gedichte aus der NS-Zeit aus heutiger Sicht „fragwürdig“ sein mögen, steht doch ihr Gesamtwerk reich an Formen und Farben und Gehalten, entsprungen einem wechselhaften und erschütternden Leben, unbeschadet da! Das Etikett „Heimatkunst“ kann – trotz aller Ostpreußenverbundenheit – getrost wieder abgezogen werden; es taugt für sie wie für viele andere ihrer Zunft wenig bis gar nichts.

Man wird keiner Biographie und keinem literarischen Werk gerecht, wenn man einige Lebensdaten herausgreift und zwei oder drei aus dem Zusammenhang gerissene Gedichtzeilen zitiert! Werfen wir diesbezüglich einen Blick auf Agnes Miegels „Nachbarn“ in Neuenkirchen: Wer würde das Werk Thomas Manns auf die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918) oder gar auf die folgenden Zeilen daraus verkürzen: „Die schiedlich-friedliche Völkergesellschaft ist Chimäre“? Wie wollte man das Leben Gerhart Hauptmanns verstehen, wenn man lediglich weiß, daß er auf seinem Haus in Hiddensee die Hakenkreuzfahne gehißt hat?

Zwei, drei Verszeilen machen noch keinen Menschen

Für eine Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße hat sich auch die Münsterländische Volkszeitung ausgesprochen. Auf ihrer Internetseite schreckte sie nicht vor irreleitenden und falschen Informationen zur Dichterin zurück. So wurde dort zum Beispiel behauptet, daß sie ihre Gedichte „meist vor nationalem Hintergrund“ geschrieben habe und ihre „Hauptschaffenszeit nahezu deckungsgleich mit der Zeit des Nationalsozialismus“ gewesen sei. Hat man sich etwa nur auf linke Flugblätter und den einseitigen Wikipedia-Eintrag verlassen?

Agnes Miegel hat 1924 nicht nur die Ehrendoktorwürde, sondern auch den Mejstrik-Preis der Deutschen Schillerstiftung erhalten. Weitere Preisträger der zwanziger Jahre hießen: Rainer Maria Rilke, Max Mell, Albrecht Schaeffer, Hermann Hesse. Dies ist die „Nachbarschaft“, die Agnes Miegel in der Literaturgeschichte gebührt.

Weitere Informationen: Agnes-Miegel-Gesellschaft e.V., Agnes-Miegel-Platz 3, 31542 Bad Nenndorf, Telefon: 0 57 23 / 91 73 17

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen