© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

„Wir wollen nur eines – Respekt“
Eine persönliche Begegnung mit Lech Kaczynski: Im Juli 2005 nimmt sich der damalige Oberbürgermeister von Warschau viel Zeit für ein Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT
Lubomir T. Winnik

Im Wald von Smolensk steht ein Lastwagen. Einige russische Soldaten ruhen sich aus, mit besorgten Gesichtsausdrücken rauchen sie Zigaretten und schweigen. Vor ihrem Lkw türmen sich Dutzende schwarzer Plastiksäcke, die sie zuvor hergebracht hatten. Im leichten Wind flattern die weiß-roten Bänder, mit denen die ominöse Fracht zugebunden ist. Denn ihr Inhalt ist grauenhaft – sie sind gefüllt mit den Körperfetzen derjenigen Polen, die hier am 10. April 2010 in der abgestürzten Tupolew 154 des Staatspräsidenten gestorben sind. In einem dieser Säcke befinden sich auch die Überreste einer meiner Bekannten.

Während ich die Berichte im polnischen Fernsehen verfolge, sehe ich sie wieder vor mir, an jenem sonnigen 15. Juli 2005 in Warschau. Erstmals traf ich sie im Korridor der Stadtverwaltung. Fürwahr, ihre Stimme bestätigte auch ihr Aussehen, nicht anders konnte ich sie mir vorstellen während unserer häufigen Telefongespräche, die dieser Begegnung vorausgingen: Schlank, dunkelhaarig, elegant, aber dezent gekleidet und betörend höflich präsentiert sich die Diplomarchäologin Izabela Tomaszewska – die persönliche Sekretärin des Warschauer Oberbürgermeisters Lech Kaczyński. Wir begrüßen uns wie alte Freunde. Da ich aus Zeitgründen mit meinem schweren Reisekoffer zu diesem Interviewtermin für die JUNGE FREIHEIT (JF 34/05) eintreffe, schnappt sie diesen, und bevor ich reagieren kann, schwingt sie ihn mühelos in einen Nebenraum. Dann gelangen wir über eine breite Treppe in den ersten Stock vor die Tür mit einem Kupferschild „Stadtpräsident“. Dahinter befindet sich ein kleines Büro, am Tisch sitzt eine weitere Sekretärin. Izabela Tomaszewska stößt energisch die nächste Tür auf. Wir betraten ein großräumiges Büro.

Er sorgt sich kaum um geschickte Formulierungen

Links von der Tür sitzt an seinem Arbeitstisch Lech Kaczyński. Als er aufsteht, finde ich ihn nicht besonders klein, wie dies die Presse stets behauptet. Eher von mittlerem Wuchs, mit leicht ergrautem zerzaustem Haar und einer kleinen Nasenwarze, die ihn von seinem Zwillingsbruder Jarosław Kaczyński unterscheiden soll. Er trägt ein kurzärmliges, sorgfältig gebügeltes Hemd ohne Krawatte. Als er mir die Hand reicht, staune ich, wie kräftig sein Händedruck ist.

Erst als wir später am runden Tisch sitzen, fallen mir seine fast bubenhaft anmutenden Hände auf, zart und klein, eigentlich die Hände eines Intellektuellen, meine ich still. Starke Männer oder Persönlichkeiten sollen angeblich männlichere Hände haben. Kann man mit solch delikaten Händen ein so großes Land wie Polen führen? Die Interview­zeit wurde vorab auf eine halbe Stunde beschränkt. Auch nach einer Stunde hocken wir weiter am runden Tisch. Der damals nicht nur im Westen unterschätzte Kandidat der sozialkonservativen Partei PiS für das Amt des Staatspräsidenten spricht etwas zischend, drückt sich dabei nicht besonders gewählt oder diplomatisch aus. Er sorgt sich kaum um geschickte Formulierungen, ist spontan, wirkt verdächtig aufrichtig, fast ohne Visier. Ist das ein Spiel, frage ich mich insgeheim, geübte Rolle oder seine angeborene Art?

Als wir noch eine weitere halbe Stunde – schon mit ausgeschaltetem Mikrofon – weiterplaudern, merke ich, daß er der gleiche blieb wie zuvor mit eingeschaltetem Aufnahmegerät. Angesprochen auf Vorwürfe in der tonangebenden linksliberalen Presse, er habe mit seinem im Juni 2005 ausgesprochenen Verbot der „Parade der Gleichheit“ der polnischen Schwulen und Lesben einen „Affront gegen Toleranz und Weltoffenheit“ begangen, entgegnete der gläubige Katholik Kaczyński: „Ich habe gar nichts gegen die Homosexuellen. Menschen haben Neigungen, Punkt. Diese aber sollen sie, bitte schön, in ihren eigenen vier Wänden ausleben. Warum drängen sie sich in die Öffentlichkeit, wozu das?“ sagte er frei von der Leber weg. „Ich oute mich mit meinen Trieben ja auch nicht öffentlich. Wenn alle das tun, haben wir am Ende Chaos oder eine neue Diktatur.“

Wenn er etwas besonders betonen will, knirscht er beim Sprechen leise mit den Zähnen, ohne es zu merken. Und in diesem Knirschen spürt man Kaczyńskis hintergründige Entschlossenheit, ja vielleicht Härte. Auf das schwierige Verhältnis zum großen westlichen Nachbar angesprochen, erklärt er: „Die Deutschen kennen doch ihre eigene Geschichte selbst besser. Es ist nicht unsere Sache, sie zu belehren, wie sie zu leben haben. Wir wollen nur eines – Respekt und die Bewahrung der geschichtlichen Wahrheit. Dasselbe erwarten wir von den Russen. Nichts mehr. Wenn ich Präsident werde, werde ich diese Werte mit allen mir zustehenden Mitteln vertreten.“

Beim Abschied prophezeie ich Lech Kaczyński den Sieg bei den Präsidentenwahlen im Oktober (er kommt gegen Donald Tusk schließlich auf 54 Prozent). Erneut erlebe ich seinen kräftigen Händedruck, er begleitet mich bis auf den Korridor. Und Izabela Tomaszewska schnappt erneut meinen Koffer, versucht ihn zu schleppen. Wir verabschieden uns draußen vor dem Stadtverwaltungspalais. Aus dem Taxi, das mich direkt zum Warschauer Flughafen fährt, winke ich ihr zum Abschied. Sie wartet so lange, bis ich sie aus dem Blick verliere.

Fotos: Kaczynskis Gattin Maria, Izabela Tomaszewska (r.): Beide starben ebenfalls bei dem Flugzeugunglück, Bürgermeister Lech Kaczynski 2005 in Warschau: Ein kräftiger Händedruck

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen