© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Der Wahrheit eine Gasse
Finanzkrise: Bei der Aufarbeitung von Anlagebetrug und Bankenpleiten hat nun die Justiz das Wort
Wolfgang Philipp

Die Finanzkrise hat tiefe Spuren hinterlassen: Firmen gingen pleite, Millionen wurden arbeitslos, andere verloren ihr Vermögen, weil sie von Banken falsch beraten worden sind. Man hätte erwarten können, daß die Verursacher zivil- oder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Davon ist aber bisher wenig zu sehen. Obwohl (oder weil?) die Bundesregierung bei der Herbeiführung des Unheils der toxischen Kreditverbriefung – jedenfalls in Deutschland – eine Hauptrolle spielte (JF 31-32/09), raffte sich der Bundestag nicht dazu auf, den hier fälligen Untersuchungsausschuß einzusetzen.

Ein solcher war schon deshalb erforderlich, weil der Zusammenbruch der vom Bund abhängigen IKB Industriekreditbankbank den Staat rund zehn Milliarden Euro gekostet hat. Hier die Bundesregierung zu kontrollieren, wäre Pflicht des Parlaments gewesen. Auch die Bundesländer waren an der Aufarbeitung der Schuld nicht interessiert. Ihre Landesbanken waren (mit zwei Ausnahmen) die Haupttäter: Zwei Drittel aller Schäden entstanden im Bereich der von Bund und Ländern abhängigen Banken. Staat und Banken sitzen in einem Boot.

„Höhere Gewalt“ ist nur eine Ausrede für Falschberatung

Viele Banken machen sich diese Aufklärungslücke zunutze und behaupten in Gerichtsverfahren, „die Krise“ sei schuld. Niemand habe voraussehen können, daß strukturierte Papiere oder Derivate Bonitätsrisiken der Emittenten ausgesetzt sein könnten. Die von ihnen selbst verschuldete Katastrophe funktionieren sie um zu „höherer Gewalt“, zur Ausrede für Falschberatung; die Täter machen sich zu Opfern. Auch die Justiz spielte zunächst mit. Der frühere IKB-Vorstandschef Stefan Ortseifen wird wegen der Geschäfte, die zum Zusammenbruch dieser Bank geführt haben, von der Staatsanwaltschaft nicht angeklagt. Dies ist kein Wunder: Ortseifen hat nur getan, was die damalige schwarz-rote Bundesregierung durch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) als ihre „Finanzmarktpolitik“ verkündet hatte. Außerdem saß Ministerialdirektor Jörg Asmussen vom Bundesfinanzministerium im Aufsichtsrat der IKB. Er hat 2006 in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen für die ins Verderben führenden Geschäfte geworben. Zum Lohn dafür wurde er Staatssekretär und ist unter Wolfgang Schäuble (CDU) weiter im Amt.

Es bleibt den Geschädigten und ihren Anwälten überlassen, etwa in Schadensersatzprozessen die Strukturen dieses Geschehens aufzuarbeiten und den Gerichten verständlich zu machen. Der beste auch im Gerichtsverfahren verwertbare Beweis für den frühen Kenntnisstand der Banken über die drohende Gefahr ist eine Äußerung der Banken selbst: Im Juni 2007, kurz vor dem Zusammenbruch der IKB, gab der Bank-Verlag eine umfangreiche Broschüre mit dem Titel „Basisinformationen über die Vermögensanlagen in Wertpapieren“ heraus. Diese wurde an viele Bankkunden weitergeleitet. Darin werden die jetzt unter dem Namen ABS bekannten Schrottpapiere ausdrücklich als hochriskante Papiere dargestellt. Wenn eine Bank oder eine Fondsgesellschaft dem Publikum solche Papiere direkt oder mittelbar verkaufte, wußte sie, was sie tat – oder mußte es wissen.

War Handel mit unseriösen Papieren sittenwidrig?

Von besonderer Bedeutung für künftige Gerichtsverfahren in ganz Deutschland ist ein Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Dezember 2009. Hier ging es im Zusammenhang mit dem IKB-Zusammenbruch um die Einsetzung eines Sonderprüfers, der die Rolle von Vorstand und Aufsichtsrat der IKB beurteilen sollte. Das OLG billigte die Berufung des Prüfers: Aufnahme und Ausweitung von Geschäften mit Verbriefungen und Zweckgesellschaften in den Jahren 2001 bis 2007 rechtfertigen nach Ansicht des OLG den Verdacht, daß es zu groben Pflichtverletzungen durch Vorstand und Aufsichtsrat gekommen ist.

In diesem Aufsichtsrat saß auch Asmussen, der dort letztlich das Sagen hatte. Plastisch stellt das Gericht fest, bereits die übermäßige „Komplexität und Intransparenz“ des Verbriefungssegments bedinge nahezu die Unmöglichkeit für den Vorstand, Entscheidungen auf ausreichender Informationsgrundlage zu treffen. Diese Formulierung legt nahe, daß das Gericht den Handel mit solchen unseriösen Papieren überhaupt für rechtswidrig bzw. sittenwidrig halten könnte, obwohl dies nicht ausdrücklich ausgesprochen ist. Das Gericht führt auch aus, daß die handelnden Personen sich auf das Rating von US-Agenturen nicht hätten verlassen dürfen, da diese jeweils von denjenigen bezahlt werden, deren Rating sie beurteilen sollen.

Erhellend ist auch das Eingeständnis des früheren Dresdner-Bank-Chefs Herbert Walter im Focus Money: „Wir haben versagt. Die Banken drehten in den letzten Jahren im Verhältnis zum vorhandenen Eigenkapital ein zu großes Rad. Es war immer klar, daß die Party nicht ewig weiterläuft und daß es gefährlich wird, wenn der Kreislauf einmal stockt.“ Diese Erkenntnisse gehörten also zum Fachwissen jedes Bankers.

Es zeichnet sich mithin ab, daß die Banken sich für Schäden, die bei ihren Kunden entstanden sind, nicht einfach auf „die Krise“ berufen können, sondern daß ihr eigenes konkretes Handeln jeweils fallbezogen wenigstens von der Justiz genau überprüft wird und hierfür auch Beweismaterial zusammenkommt.

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