© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Blutiger Machtpoker im Armenhaus
Aufstand in Kirgistan: Die zentralasiatische Republik wird inneren Konfl ikten und geostrategischen Interessengegensätzen zerrissen
Michael Paulwitz

Für Blumensymbolik war diesmal keine Zeit. Fünf Jahre nach der zur „Tulpenrevolution“ überhöhten putschartigen Auswechslung der Herrschercliquen im Armenhaus Zentralasiens wurde der kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew durch einen Aufstand mit über achtzig Toten aus dem Amt gejagt.

Das Problem: Während die von seinen ehemaligen Weggefährten getragene Opposition unter Ex-Außenministerin Rosa Otunbajewa um die Festigung ihrer provisorischen Regierung und die Großmächte um Erhalt und Ausbau ihrer geostrategischen Positionen ringen, wird sich für die verarmte Fünf-Millionen-Bevölkerung der vielfach gespaltenen Bergrepublik wenig ändern.

Bakijew sei „auf die gleiche Harke wie sein Vorgänger“ getreten, kommentierte Rußlands Premier Putin den Umsturz. Durch ungenierte Vetternwirtschaft hatte Bakijew schon bald nach seinem Amtsantritt im Juli 2005 sein Versprechen gebrochen, er werde mit der Korruption des nach fünfzehn Jahren gestürzten ersten Präsidenten des unabhängigen Kirgistan, Askar Akajew, aufräumen. Einträgliche Ämter und Schlüsselpositionen vergab Bakijew innerhalb der Familie; den Gipfel bildete die Berufung seines Sohnes Maxim zum Leiter der neuen Zentralen Agentur für Entwicklung, Investitionen und Innovationen, die die beträchtlichen internationalen Hilfsgelder verwalten sollte.

Unmittelbarer Anlaß für den Umsturz war die Zuspitzung der Wirtschaftskrise. Durch ausbleibende Überweisungen kirgisischer Gastarbeiter traf die globale Krise auch Kirgistan. Vor allem aber empörte die mitten im Winter verfügte Erhöhung der Wasser- und Energiepreise die Bevölkerung des Landes, in dem bei einem Durchschnittseinkommen von hundert Euro ein Drittel der Einwohner unter dem Existenzminimum lebt.

Nur ein Spielball zwischen Rußland und den USA

Die Heftigkeit der Proteste hatte auch die Oppositionspolitiker überrascht, die erst mit Verzögerung die Führung übernehmen konnten. Rußlands Dementi, man habe damit nichts zu tun, trifft allenfalls im engeren Sinne zu; in einem Land, dessen Staatshaushalt wesentlich von ausländischen Zahlungen abhängt, geschieht kaum etwas ohne Wissen oder Mitmischen der Großmächte. Bei der „Tulpenrevolution“, die Bakijew an die Macht brachte, hatten die USA kräftig in die Glut geblasen; nach Bakijews Sturz hatte Rußlands Premier Putin die Nase vorn, der die provisorische Regierung als erster anerkannte und ihr Unterstützung zusagte.

Schon seit Herbst 2009 erfreute sich die kirgisische Opposition des intensiven Wohlwollens von Politik und Medien in Rußland. Hintergrund ist die Verärgerung Moskaus über Bakijew, der Anfang 2009 ein russisches Zwei-Milliarden-Dollar-Hilfspaket angenommen hatte und daraufhin zwar zunächst die USA zur Aufgabe ihrer für die Afghanistan-Logistik zentralen Basis in Manas aufgefordert, gegen eine Verdreifachung der US-Zahlungen den Pachtvertrag dann aber doch verlängert hatte. Die düpierten Russen stoppten ihre Hilfe mit dem Hinweis, daß diese über Maxims Agentur für familiäre Selbstbereicherung veruntreut werde.

Die USA haben die neue Regierung erst mit Verzögerung anerkannt, nachdem sie mit dem Entzug der Manas-Basis gedroht hatte. Daß der im Sommer auslaufende Vertrag tatsächlich nicht verlängert wird, ist freilich unwahrscheinlich; Kirgistans Staatskasse braucht das Geld, und die Oppositionspolitiker sind in der Frage der Orientierung an den rivalisierenden Großmächten selbst zerstritten. Auch China wird daher weiter versuchen, durch Investitionen im Nachbarland seinen Einfluß auszubauen.

Um Boden gutzumachen, wollen die USA Bakijew, anders als Rußland dessen Vorgänger Akajew, kein politisches Exil gewähren. Bakijew hatte sich nach seinem Sturz in den Süden des Landes zurückgezogen und zunächst mit Bürgerkrieg und Separatismus gedroht, um mit der Übergangsregierung günstige Bedingungen für seinen Rücktritt auszuhandeln. Die zeigt sich jedoch unnachgiebig und will ihm und seiner Familie den Prozeß machen.

Weil er selbst aus dem Süden stammt, hat Bakijew dort viele Anhänger; sein Putsch vor fünf Jahren war vor allem deshalb gelungen, weil ihn einflußreiche Clan-Chefs und Geschäftsleute aus dem unter Akajew vernachlässigten Süden gegen die Zentralmacht im Norden unterstützt hatten. Viele von ihnen fürchten im Fall seines endgültigen Abtretens den Verlust von Einfluß und Vermögen. Die Zweiteilung des Landes gewinnt zusätzliche Brisanz durch das Übergreifen islamistischer Einflüsse aus dem benachbarten usbekischen Fergana-Tal auf die geburtenstarke usbekische Bevölkerung Süd-Kirgistans.

Die eigentliche Aufgabe muß die Umsturz-Regierung also erst noch lösen. Ohne die Großmächte und ohne Kompromisse mit Clan-Chefs und Oligarchen wird der Machtwechsel kaum gelingen. Wer immer also die Wahlen gewinnen wird, die in einem halben Jahr stattfinden sollen – für die Kirgisen wird vieles beim alten bleiben. Im globalen Spiel ist Kirgistan nur ein Feld eines Schachbretts, auf dem andere die Figuren ziehen.“

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