© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Marsch auf Washington
USA: Die Tea-Party-Bewegung bündelt den Protest der von der Politik frustrierten Amerikaner / Gemeinsames Feindbild ist Präsident Obama
Ronald Gläser

Wer wann wirklich die erste Tea-Party-Demo gegen die Politik der neuen US-Regierung organisierte, läßt sich nicht mehr so genau klären. Denn die Tea Party ist eine Bewegung, keine organisierte Partei. Tatsache ist, daß Barack Obamas „Change“ keinesfalls auf ungeteilte Zustimmung stieß – von Anfang an begleitete ihn als Präsidenten massiver Widerstand. Und der kam nicht nur von den unterlegenen Anhängern der Republikaner.

Schnell nahmen sich konservative Journalisten der diversen Tea Partys an, berichteten auffallend wohlwollend. Radiomoderatoren wie Rush Limbaugh und Glenn Beck oder der CNBC-Finanzexperte Rick Santelli, der in einer Sendung fast die Fassung verlor, bildeten die publizistische Speerspitze der Unterstützer. Es ging dabei angesichts der Weltfinanzkrise zunächst um die Rettungs- und Konjunkturpakete der neuen Regierung, um den größten Schuldenhaushalt aller Zeiten. „Damit setzen wir die ganz falschen Anreize und subventionieren die Tilgungsraten der Verlierertypen“, ärgerte sich Santelli. Er schlug in einer Sendung eine Tea Party vor, bei der „vergiftete Kreditverträge“ in den Lake Michigan geworfen werden sollen – so wie damals der Tee in den Hafen von Boston, als die Gründerväter Amerikas gegen die britischen Steuern aufbegehrten. Die anderen Börsenhändler, unfreiwillige Statisten in Santellis Live-Schaltung, applaudierten.

„Anti-Regierung, Anti-CNN, nur Rechtsaußen-Fox-News“

Die Idee war geboren. Von nun an organisierten sich die Tea-Party-Leute, die keinen herausragenden Anführer und keine tonangebende Organisation haben, im ganzen Land. Schon 2009 veranstalteten sie unter großer Anteilnahme des (neo-)konservativen Nachrichtensenders Fox News die erste Bustour. Jetzt – am 15. April, dem Abgabetag für die US-Steuererklärung – soll die dritte Bustour des Tea Party Express, die am 27. März in Nevada begonnen hat, in Washington enden.

Trifft deren Tourbus in einer Stadt ein, dann gibt es dort eine Kundgebung mit Musik und prominenten Gastrednern wie Ex-Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin. Oft kommen einige tausend zu dem Ereignis. Hinterher wird aufgeräumt, und dann fährt der Bus weiter. Es waren 34 Städte in 16 Tagen – einmal quer durch Amerika.

Diese Tea Party ist möglich, weil es in Amerika eine lebendige konservative Szene gibt und einflußreiche Medien, von denen Fox News das wichtigste ist. Durch die Berichterstattung des quotenstarken Fernsehsenders können die anderen Medien ihre Totschweige-Taktik nicht durchhalten, sondern müssen – nolens volens – ebenfalls über die Bustour informieren.

Geradezu angeekelt berichtete eine Reporterin des eher den US-Demokraten zugeneigten Senders CNN über eine der Kundgebungen der Tea-Party-Leute. Sie interviewte einen Familienvater, der seinen kleinen Sohn auf dem Arm hielt. Weil ihr seine Argumente („Lincoln hat gesagt, der Mensch solle die Früchte seiner Arbeit selbst genießen dürfen“) nicht gefielen, fuhr sie ihm über den Mund und schimpfte ohne sichtlichen Grund in die Kamera: „Wie Sie sehen, ist das hier immer der gleiche Tenor: Anti-Regierung, Anti-CNN, das wird alles vom Rechtsaußen-Fox-News unterstützt.“

Das politische Establishment der USA ist genauso überrascht, daß sich jemand dem „Obama-Regime“ (so Radiomoderator Rush Limbaugh) zu widersetzen wagt. Der demokratische Repräsentant Steve Cohen aus Tennessee setzte die Tea-Party-Leute in einem Radiointerview sogar mit dem Ku-Klux-Klan gleich. Sie seien die „böse Seite Amerikas“ und von Vorurteilen gegen Schwarze und Schwule geprägt. Sexistisch und rassistisch – das sind zwei weitere typische Attribute, mit denen die Tea-Party-Anhänger in vielen Medien beschrieben werden.

Aber diese Einschätzung ist rein politisch motiviert. Frauenhasser, die Sarah Palin zujubeln? Rassisten, die den schwarzen Bundesrichter Clarence Thomas unterstützen? Wie soll das zusammenpassen? Die politisch korrekte Klasse in Washington hätte es gerne so, damit ihr Feindbild wieder stimmig ist. Deswegen wurde am Tag der Abstimmung über Obamas Gesundheitsreform sogar eine Gruppe von schwarzen Abgeordneten durch den Block der Tea-Party-Demonstranten vor dem Kapitol gehetzt – in der Hoffnung, jemand würde sie als Nigger beschimpfen. Es war eine wohlkalkulierte Provokation, die nicht aufgegangen ist. Niemand hat „Nigger“ gebrüllt, aber manche Demokraten behaupten jetzt einfach trotzdem, daß es so war. Komisch nur: Die Tea-Party-Leute bestreiten rundweg den Vorwurf, und es gibt keinen einzigen Videobeweis oder Tonmitschnitt. Und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt vor dem Kapitol alles voller Kameras und Reporter war.

Den Groll gegen „die da oben“ in offenen Zorn verwandelt

Die Demokraten verspüren nach ihrem Erdrutschsieg vom November 2008 scharfen Gegenwind. Und sie haben Grund, sich vor den Zwischenwahlen im kommenden Herbst zu fürchten, denn angeblich sollen vierzig Prozent der Tea-Party-Anhänger Unabhängige oder sogar Demokraten sein. Es ist eben nicht nur der rechte Rand der Republikaner, der dort demonstriert. Die Partei von „Big Government“ flüchtet sich deshalb in eine Märtyrerrolle, indem sie ihre Gegner als eifernde Rassisten darstellt – notfalls auch ohne konkreten Beweis. Auch der Spiegel behauptete in seiner aktuellen Ausgabe, daß die demokratischen Abgeordneten bei einer Tea-Party-Kundgebung in Washington als „Schwuchteln und Nigger“ beschimpft worden seien. Die Tea-Party-Leute hätten mit ihren Attacken auf demokratische Politiker eine neue „Miniaturausgabe der Reichskristallnacht“ angerichtet, warnte die New York Times, der kein Nazi-Vergleich zu peinlich scheint.

Die Tea Party wird ernst genommen, weil sie eine Menge bislang unpolitischer Leute mobilisiert. Als echte Graswurzelbewegung rekrutiert sie ihre Freunde im ganzen Land. Insgesamt soll es schon 350.000 Förderer und ein Millionenheer von Sympathisanten geben, mit deren Untersuchung sich bereits mehrere Meinungsforschungsinstitute befaßt haben. 28 Prozent der Amerikaner identifizieren sich mit den Zielen der Tea Party. Das Gallup-Institut hat ermittelt, daß diese Anhänger zwar überwiegend politisch rechts stehen, demographisch gesehen aber den Durchschnitt der US-Bürger repräsentieren – das gleiche gilt für Ausbildung, Beruf, Geschlecht und Rasse.

Die Tea-Party-Bewegung ist aber bislang keine dritte Großpartei. Wahrscheinlich gesellt sie sich zu wichtigen Unterstützern der Republikanern hinzu, wenn die Grand Old Party den Protest der Bürger ernstnimmt und wirklich auf sie zugeht. Die bislang mächtigsten Gruppen im Umfeld der Republikaner waren die Waffenbesitzervereinigung NRA, die evangelikale Christliche Koalition und die Pro-Life-Bewegung. Ein Teil des heutigen Widerstands gegen Obamas Gesundheitsreform speist sich beispielsweise aus der Sorge von Abtreibungsgegnern, mit den eigenen Zwangsbeiträgen demnächst die Leistungen von Abtreibungsärzten mitbezahlen zu müssen.

Es gibt gemeinsame Schnittmengen zwischen Lebensschützern und der Tea Party. Aber von den Tea-Party-Anhängern betrachten sich „nur“ zwei Drittel als Abtreibungsgegner, und es ist nicht ihr ursprüngliches Hauptanliegen. Sie sind eher Wirtschaftsliberale, die sich gegen die Steuergeldverschwendung und die Washingtoner Sozialstaatspläne zur Wehr setzen. Die unter George W. Bush begonnenen und von der neuen US-Regierung nahtlos fortgesetzten Mammutverschuldungsorgien, die fragwürdigen Konjunkturpakete und Milliarden-Rettungsschirme für unfähige Wall-Street-Firmen sowie Obams Gesundheitsreform haben den seit Jahrzehnten lodernden Groll gegen „die da oben“ als offenen Zorn ausbrechen lassen. Die aus zahlreichen unabhängigen Gruppen und Organisationen bestehende Tea-Party-Bewegung ist das inzwischen unüberhörbare Sprachrohr dafür.

Fotos: Tea-Party-Rednerin Palin (M.): Die einstige Vizepräsidentschaftskandidatin ist die Ikone der Bewegung, Tea-Party-Bewegung: Die Hundertausende Aktivisten zählende konservative Bürgerbewegung entstand 2009 aus Protest gegen die milliardenschweren staatlichen Rettungspakete und die Obama-Regierung. Laut Umfragen sind etwa 80 Prozent der Anhänger Weiße und tendenzielle Republikaner-Wähler. Etwa ein Drittel der US-Bürger unterstützt die Ziele der Tea-Party-Bewegung – nur ein Fünftel lehnt sie vehement ab.

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