© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Keine Begeisterung für Cameron
Großbritannien: Am 6. Mai wird das Unterhaus neu gewählt / Trotz Ärger über die Labour-Regierung nur mäßige Umfragewerte für die Tories
Derek Turner

Die Parteistrategen haben Grund zur Sorge. Über zwei Jahre lang lagen die Tories in Umfragen mindestens zehn Prozentpunkte vor der Labour-Partei – die Zahlen pendelten sich bei etwa 47 zu 37 Prozent ein. Im Mai 2008 betrug der Vorsprung sogar 26 Prozent. Seit Jahresbeginn ist er auf zwei Prozent geschrumpft. Manche sagen sogar eine konservative Minderheitsregierung, ein hung parliament (Unterhaus ohne klare Mehrheitsverhältnisse) oder einen knappen Labour-Sieg voraus.

Bis zur Wahl am 6. Mai bleibt wenig Zeit, um verlorenen Boden wettzumachen. Der Wechsel zur renommierten PR-Agentur Saatchi&Saatchi, die während der Thatcher-Ära eine überaus erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit für die Tories machte, wirkte zu so später Stunde wie ein Akt der Verzweiflung. Besonderes Unbehagen bereitet den Tories, daß Labour im Kampf um 56 Sitze, die die Konservativen bei den letzten Wahlen knapp gewannen, momentan vier Punkte vor ihnen liegt.

Diese fulminante Aufholjagd gelang Labour trotz der Unbeliebtheit von Premierminister Gordon Brown und seinem Amtsvorgänger Tony Blair; trotz Rezession, öffentlicher Kritik an der Einwanderungspolitik, den Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität, den eklatanten Mängeln im Bildungs- und Gesundheitswesen; trotz der unpopulären Kriege im Irak und Afghanistan – und trotz David Camerons „Modernisierung“ der Konservativen Partei. Ein Schelm, wer hinter seiner Beschwörung des transatlantischen Zauberworts vom „Wandel“ eher rhetorischen Opportunismus als Willen zum Kurswechsel vermutet.

Für welche Inhalte er wirklich steht, bleibt unklar. „David Cameron hat wiederholt gezeigt, daß er Premierminister werden könnte. Jetzt muß er nur noch zeigen, warum er das überhaupt will“, kommentierte die Times. Die Schuld liegt nicht allein beim Tory-Chef. Der Skandal um die Spesenabrechnungen der Parlamentarier hat alle Großparteien in Mitleidenschaft gezogen und das Vertrauen der Briten in die Zunft der Berufspolitiker nachhaltig erschüttert. Laut einer am 30. März im Independent veröffentlichen Umfrage halten 50 Prozent der Bevölkerung eine Wiederwahl Browns für „undenkbar“; 51 Prozent bekunden indes, „keine Begeisterung“ für die Tories zu verspüren.

Tory-Chef Cameron im Kampf gegen Rechts

Die schweren Grabenkämpfe innerhalb der Tories allerdings sind Cameron sehr wohl anzulasten. Viele Aktive, die ihrer Partei seit dem Machtverlust 1997 treu geblieben sind, können sich nicht für seinen Politikstil begeistern. Camerons Versuche, das Image der Tories aufzupolieren, indem er Frauen und Angehörige ethnischer Minderheiten als Kandidaten für „sichere“ Sitze aufstellt, seine Verbalattacken gegen die rechte Konkurrenz von BNP (deren Chef Nick Griffin er ein „widerliches Dreckstück“ nannte) und UKIP („Spinner und heimliche Rassisten“) oder seine Unterstützung der ultralinken Organisation Unite Against Fascism stoßen bei vielen Konservativen auf Ablehnung. Auch zu den neuen Gleichstellungsgesetzen hätte sich manches Parteimitglied klare Worte von seinem Vorsitzenden gewünscht. Statt dessen wird befürchtet, daß er als Premierminister den Kurs der Labour-Regierung konsolidieren könnte.

Das einflußreiche Blog Conservative­home.com veröffentlichte jüngst eine Karikatur, wie Cameron von einem Schuß aus den eigenen Reihen getroffen wird, mitsamt einer Liste zahlreicher Tories, die keinen Wahlkampf für ihn machen oder seine Wahl sogar aktiv zu verhindern trachten. Dazu zählen Namen wie der Ex-Parteichef Norman Tebbit oder mehrere Kolumnisten des konservativen Daily Telegraph. Wenn eine Zeitung mit dem Spitznamen „Torygraph“ kurz vor einer Parlamentswahl Kommentare mit Titeln wie „Warum die Konservativen eine Niederlage verdienen“ oder „Die meisten Tories hassen David Cameron“ druckt, hat die Konservative Partei offenkundig ein Problem.

Auch beim konservativen Boulevardblatt Daily Mail haben sich die Kolumnisten auf ihn eingeschossen. Peter Hitchens, den Cameron kürzlich als „durchgeknallt“ bezeichnete, hat sogar ein ganzes Buch mit dem Titel „The Cameron Delusion: How British Politics Lost Its Way“ (wohl in ironischer Anspielung auf Richard Dawkins’ atheistisches Manifest „The God Delusion“, deutsch: „Der Gotteswahn“) geschrieben, um seine Siegeschancen zu sabotieren.

Die Frage der Times ist berechtigt: Daß Cameron Premierminister werden will, ist kein Geheimnis – nun muß er seinen Landsleuten nur noch verraten, warum sie ihn wählen sollten. Ihm bleiben noch genau drei Wochen Zeit.

 

Derek Turner ist Publizist und seit 2007 Herausgeber der britischen Zeitschrift „Quarterly Review“ (www.quarterly-review.org).

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