© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Alles dreht sich um die Geschlechterfrage
Wie die ideologischen Forschungen zu Gender Mainstreaming zunehmend den deutschen Wissenschaftsbetrieb dominieren
Ellen Kositza

Der Forschungsbereich Gender, der sich – vereinfacht gesagt – mit kulturellen Implikationen des Geschlechts befaßt, fristete bis vor wenigen Jahren ein Nischendasein. Er galt als Unterrubrik für wenige Soziologen, Kulturwissenschaftler und – interdisziplinär – für radikalere Feministinnen. Wer sich hingegen heute einen Überblick über die Neuerscheinungen zu diesem Thema verschaffen will, braucht einen längeren Atem: Gender ist zu einem Forschungsschwerpunkt geworden. Wer als junger Dozent an der Universität die „Geschlechterfrage“ über einige Semester nicht in seine Seminare integriert hat, wird sich wenigstens informell der Frage stellen müssen, inwieweit er die Gender-Rahmenpläne der Hochschule inhaltlich umzusetzen gedenke.

Derzeit 113 Professuren für Geschlechterforschung

Unmöglich ist das in keinem Fall und keinem Fach. Gender soll sich in der Musikwissenschaft (Uni Oldenburg: „Hier können Weichen gestellt werden für einen gewaltfreien, emanzipierten Umgang miteinander, auch in musikalischer Hinsicht“) ebenso niederschlagen wie in Jura (Neuerscheinung 2010: „Hat Strafrecht ein Geschlecht?“), den Wirtschaftswissenschaften (Doblhofer/Küng: „Gleichheitsmanagement als Erfolgsfaktor“) und im technischen Bereich (Knoll/Ratzer: „Gender Mainstreaming in den Ingenieurswissenschaften“). Auch die etablierte Feministische Theologie hat aufgestockt. In einem umfänglichen akademischen  Sammelband („Frau–Gender–Queer“) zu „gendertheoretischen Ansätzen in der Religionswissenschaft“ beispielsweise wird inmitten eines durchgehend kruden Jargons aus einem Arbeitspapier der Mitherausgeberin Márcia Elisa Moser zitiert, das „Perverse Religionswissenschaft – Religionswissenschaft des Perversen“ betitelt ist.

Im Jahre 1999 hat die Bundesregierung Gender Mainstreaming (GM) zur Querschnittsaufgabe erklärt. Im universitären Bereich spiegelt sich diese Geschlechterpolitik auf drei Ebenen: personell, finanziell (Gender-Budgeting) und inhaltlich. An deutschen Universitäten – sonstige Hochschulen außer acht gelassen – gibt es derzeit 113 Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung. Die zahllosen Professuren, in deren Ausschreibungstext die Beachtung des Gender-Aspekts lediglich als „erwünscht“ formuliert ist, sind dabei nicht berücksichtigt. Eine Vorreiterrolle hat Berlin übernommen. Hier dozieren 27 Gender-Professoren – die in diesem Fall allesamt Professorinnen sind –, zwei weitere Stellen sind unbesetzt. Ob auch in diesem Fall das unterrepräsentierte Geschlecht bevorzugt berücksichtigt wird, wie es die Gleichstellungsnormen fordern, ist unklar. Auch die Universitäten in Nordrhein-Westfalen (35), Hessen (10) und Hamburg (8) unterhalten zahlreiche Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung, mager sieht es dagegen an den bayerischen Universitäten (3) sowie in Sachsen-Anhalt und Thüringen aus, die je eine Professur unterhalten, wobei Sachsen-Anhalt über ein einschlägig renommiertes „Gender-Institut“ mit akademischem Anschluß verfügt, in Thüringen ist ein entsprechendes „Gender-Kompetenzzentrum“ in Aufbau; das Saarland sowie Sachsen weisen noch keine entsprechende Position aus.

Die meisten Gender-Professuren hält der Fachbereich Soziologie, dicht gefolgt von Erziehungswissenschaften, aber auch die Japanologie (Düsseldorf), Informatik (Bremen) und Architektur (Hannover) hat eigene Gender-Lehrstühle besetzt. Nebenbei ist – auch dank GM – der Anteil der Professorinnen insgesamt von 4,5 Prozent (1980) auf 23,4 Prozent (2008) gestiegen.

Auch jenseits amtlicher Bestallungen wird unermüdlich „gegendert“, die Beispiele sind zahlreich. Im kommenden Juni veranstaltet die Universität der Bundeswehr in München eine Tagung, die sich mit Fragen des Terrorismus unter Gender-Aspekten befassen wird. Laut Ankündigungstext soll „eine Schnittstelle zwischen Forschungen zu Terrorismus, Gender und Wissensgenerierung bzw. -tradierung“ unter die Lupe genommen werden. Zu fragen sei: „Wie wird in der öffentlichen Debatte um Terrorismus Wissen über Geschlechterordnungen hergestellt? Inwiefern werden dabei bekannte Geschlechterstereotypen und Deutungsmuster reaktiviert bzw. modifiziert? Wie gehen hegemoniale Deutungen in die Erinnerungskultur ein? Und welche Rolle spielen Konzepte von Geschlecht in den genannten Prozessen?“ Im Tagungshaus der Katholischen Akademie Stuttgart-Hohenheim findet im November 2010 die 16. Tagung des Arbeitskreises „Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit“ statt, diesmal zum Thema „Verflochtene Lebenswelten“. Die Veranstalterinnen interessiert dabei besonders, „welche Relevanz die Kategorie Geschlecht für die Verflechtung der Lebenswelten wie auch für die Konstruktion von deren Grenzen hatte“. Als mögliche Themen werden offeriert: „Grenzüberschreitende Ehen,  geschlechtsspezifische Funktionalität von Übersetzer/innen und kulturellen Vermittlern, das ‘Gendering’ von Praktiken und Strategien in mehrkulturellen Interaktionsräumen, geschlechtsspezifische z.T. mit Zwang verbundene Mechanismen des Transfers, der Akkulturation und Transformation“.

Gesetzt als bundesdeutsche „Querschnittsaufgabe“

In jedem Fall wird deutlich, daß der Gender-Komplex einem Faß ohne Boden gleicht. Die Fragestellungen drehen sich im Kreis – wieder und wieder, schwindelerregend, allein die speziellen Objekte sind variabel. Schon den Feministinnen alten Schlags fiel es schwer, sich auf eine „differenzialistische“ oder „universalistische“ Herangehensweise zu einigen. Soll frau die Sicht aus dezidiert weiblicher Perspektive stärken und folglich (aufgrund des patriarchal bedingten männlichen Vorsprungs) bevorzugen?  Oder soll man den „Faktor Geschlecht“ generell als kulturelle Lüge identifizieren und ihn aufheben? Letzteres würde bedeuten, die „Viktimisierung“ der Frau mit einer ausnahmelosen Gleichstellung zu beenden.

Im gesamten Bereich des GM laufen beide Optionen kreuz und quer. Einerseits wird betont, daß beide Geschlechter „natürlicherweise“ exakt gleiche Interessen und Befähigungen haben, anderseits sortieren „gender-sensible“ Handreichungen deutlich nach dem Faktor Geschlecht. Beispielsweise gibt es eine Broschüre des Gesundheitsministeriums zur Nikotinentwöhnung für „Girls“ – mit kichernden Mädchen, die aus Schlankheitsgründen rauchen – und eine für „Boys“, denen aufgezeigt wird, wie sie ohne Kippe „cool“ und „erfolgreich“ wirken. Diese Verwirrung wird im akademischen Gender-Diskurs fortgeschrieben. In einer Rezension des jüngst erschienen Sammelbandes „Gendering Historiography“ heißt es, die „Verbindung von Geschichtsschreibung und Geschichtskultur“ erscheine aus „gender-sensibler Perspektive als unerläßlich. Erst die Überwindung akademisch-männlich geprägter Definitionen von ‘wahrer’ oder ‘wichtiger’ Geschichte (…) macht es möglich, auch weibliche Historiographen in den Blick zu bekommen; schließlich waren Frauen über Jahrhunderte hin qua Geschlecht aus der akademischen Geschichtsforschung und -schreibung ausgeschlossen.“ Bis heute sei „das Feld der Geschichtsschreibung und -forschung durch Geschlechterdifferenzen, -hierarchien sowie Ein- und Ausgrenzungen gekennzeichnet. Insofern ist das Anliegen, die Historiographie zu ‘gendern’, weiterhin ein eminent politisches.“

Solche Fragen mögen „spannend“ sein. Ihre Beantwortung mag Raum verlangen – für ein paar Bücher, einige Seminare. Sie mag, wenn es nun als bundesrepublikanische „Querschnitts-aufgabe“ gesetzt ist, als roter Faden akademische Forschungen durchziehen. Doch erscheint die interdisziplinäre Gender-Fixiertheit als unergiebige Auswalzung eines Gesichtspunkts. Wo sich Frauen möglicherweise einst in endlosen Umdrehungen und letztlich rein um des kommunikativen Aspekts willen über das Waschmittel unterhielten, das „nicht nur sauber, sondern rein“ wusch, dreht sich heute das Bemühen eines großen Teils der jungen Akademikerinnengeneration um die „gender-gerechteste“ Sichtweise.

Ebenso, wie es bereits in rückständigen Zeiten Männer gab, die Putzlappen schwangen, haben auch Männer teil am frauendominierten Gender-Diskurs. Ihre Teilhabe bewegt sich im unteren einstelligen Prozentbereich. Ganze zwei der Gender-Professuren sind männlich besetzt. Ähnliches läßt sich von einschlägigen Veröffentlichungen sagen.

Foto: Gender-Rahmenpläne der Hochschule sind beherrschend: „Hat Strafrecht ein Geschlecht?“

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