© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Frisch gepresst

Ostmitteleuropa. Ein seit langen Jahren für die „Grundriß“-Reihe des Oldenbourg-Verlags angekündigtes Werk zu „Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert“ ist endlich erschienen (München 2010, broschiert, 353 Seiten, 34,80 Euro). Verfasser ist Joachim von Puttkamer (Jena), ein Spezialist für die Geschichte Ungarns und seines Nationalitätenproblems im 19. Jahrhundert. Wie Friedrich Naumanns Erfindung „Mitteleuropa“ (1915), so haftet auch dem Etikett „Ostmitteleuropa“ etwas eigentümlich Unbestimmtes an. Leider gibt von Puttkamer auch in seiner Einleitung dazu keine präzise Definition, verzichtet auf detailgenaue Karten „seiner“ Region, mustert Preußen, das Baltikum, Slowenien, Kroatien wie die Geschichte der Juden von vornherein aus. Nur die Ungarn, Tschechen, Slowaken und Polen bleiben praktisch übrig. Die Hauptzielgruppe Studenten stellt von Puttkamer mit seiner konzisen historischen Darstellung sowie mit einer 100seitigen Bibliographie trotzdem in jedem Fall zufrieden. Ihre Solidität leidet an einigen Stellen allerdings unter seinen zeitgeistbedingten Wertungen, die er zum Ende hin, als er sein Mißbehagen gegen das unter „staatlicher Regie“ angestrebte Zentrum gegen Vertreibungen oder die Forderung nach Aufhebung der Beneš-Dekrete äußert, nicht mehr unter der Decke halten kann. Warum bei der „polnischen Westforschung“ die „Radikalität und Gewaltbereitschaft“ geringer gewesen sein soll als bei der „deutschen Ostforschung“, der er sie unterstellt, bleibt zudem sein Geheimnis. 

 

Wolfskind. Der Untertitel dieses Buches verspricht nicht zu viel: „Die unglaubliche Lebensgeschichte des ostpreußischen Mädchens Liesabeth Otto“ (Wolfskind. Propyläen Verlag, Berlin 2010, 318 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro). Unglaublich ist an dieser Biographie, die von der Journalistin Ingeborg Jacobs aufbereitet worden ist, wahrhaft vieles – analog zum im ZDF und auf Arte ausgestrahlten Dokumentarfilm über ihr deutsch-russisches Lebens­panorama. Die Mutter des 1937 in Wehlau bei Königsberg geborenen Mädchens, vergewaltigt von der Sowjet-Soldateska, verhungerte auf der Flucht in Danzig. Auf wundersame Weise schaffen ihre Kinder im Frühjahr 1945 die Rückkehr in die Nähe Wehlaus. Liesabeth Otto überlebt als „Wolfs­kind“ in Litauen. Eine Vergewaltigung hat sie da schon hinter sich, nicht die letzte. 1952 beim Stehlen erwischt, verschwindet sie in der Hölle von Stalins Gulag-System. Auch dies überlebt sie, schlägt sich im „Sowjetparadies“ durch, gründet eine Familie, reist 1976 in die Bundesrepublik aus, trifft Vater und Bruder wieder, fühlt sich aber nicht mehr heimisch, kehrt nach Sibirien zurück und zieht 1980 ins gegenüber dem Westen noch hermetisch abgeschlossene Königsberger Gebiet um.

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