© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

„Neuer türkischer Imperialismus“
Integration: Die Forderung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan nach türkischen Schulen in Deutschland hat eine breite Diskussion ausgelöst
Michael Paulwitz

Türkische Gymnasien in Deutschland: Mit diesem Ansinnen hat Recep Tayyip Erdoğan in der vergangenen Woche im Vorfeld des Türkei-Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Kontroverse über den Zusammenhang von Schulpolitik und Integrationserfolg ausgelöst (siehe auch Seite 2). Der türkische Ministerpräsident erneuerte damit seine Forderung nach türkischsprachigen Schulen, die er bereits in seiner Kölner Rede 2008 erhoben hatte. Die unterschiedlichen Auffassungen von „Integration“ auf türkischer und deutscher Seite wurden auch diesmal nicht ausdiskutiert. Zur Begründung hatte Erdoğan einen schiefen Vergleich mit deutschen Schulen und Universitäten in der Türkei gezogen; dasselbe solle auch umgekehrt möglich sein. Nicht nur der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) fand das unsinnig: „Dorthin schickt eine türkische Oberschicht ihre Kinder, damit sie zusätzlich Deutsch lernen.“

Kanzlerin Merkel, die den Vorstoß Erdoğans zunächst strikt abgelehnt hatte und deswegen von ihrem Amtskollegen des „Hasses gegen die Türkei“ bezichtigt worden war, ließ sich freilich zu Beginn ihres Türkei-Besuchs auf Erdoğans Linie ein und befürwortete zweisprachige türkische Auslandsschulen in Deutschland. Dies dürfe allerdings keine Ausrede für hier lebende Türken sein, kein Deutsch zu lernen.

Fraglich, ob der Appell auf fruchtbaren Boden fällt. Während Fachpolitiker fast aller Parteien eine weitere Absonderung türkischstämmiger Einwande-rerkinder befürchteten und dabei sogar Schützenhilfe von einigen türkischen Verbandsfunktionären erhielten, waren deutsche Türkei-Lobbyisten umgehend mit Applaus zur Stelle. Voran Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), der sich der Forderung nach „mehr deutsch-türkischen Schulen“ mit dem befremdlichen Argument anschloß, das helfe nicht nur bei der Integration, sondern bringe „unserem Land auch ein Stück mehr Internationalität“.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) warf der Kanzlerin im Erdoğan-Duktus eine „Stigmatisierung“ der Türken vor und übernahm dessen Argument, es sei integrationsfördernd, wenn türkische Kinder im muttersprachlichen Schulunterricht erst einmal ordentlich Türkisch lernten, bevor sie sich mit der Landessprache befaßten. Die Frage, warum Kinder italienischer, russischer oder vietnamesischer Einwanderer anders als türkische Kinder zur schulischen Integration kein muttersprachliches Lernen benötigen, beantworten indes weder Wowereit noch Erdoğan.

SPD-Chef Sigmar Gabriel empfahl sich dem Wohlwollen Erdoğans durch den Alternativvorschlag eines regulären türkischen Fremdsprachenunterrichts an deutschen Schulen, was seine Genossin Ute Vogt bereits 2008 als Reaktion auf Erdogans Kölner Rede ins Gespräch gebracht hatte. Die Möglichkeit für Türkisch als Fremdsprache besteht an einzelnen Schulen schon seit 1980, ohne daß damit nennenswerte Erfolge erzielt worden wären.

Türkische Gymnasien auf privater Basis sind längst möglich und existieren bereits. Die Schulen der weltweit vernetzten, der Regierungspartei AKP nahestehenden Gülen-Bewegung, inspiriert vom bisweilen mit den Calvinisten verglichenen Prediger Fethullah Gülen, der im Erwerb von Wohlstand und Bildung ein gottgefälliges Werk sieht, wenden sich vor allem an aufstiegswillige türkische Einwanderer. Der Fachunterricht findet dort allerdings auf deutsch statt. Bei deutschen Eltern besteht indes weder nach solchen Schulmodellen noch nach zweisprachigem Unterricht in Deutsch und Türkisch große Nachfrage. Die von Erdoğan geforderten staatlichen türkischen Gymnasien würden schon deshalb nach Ansicht vieler Kritiker weder dem Kulturaustausch noch der Integration, sondern vor allem der sprachlichen und kulturellen Selbstabgrenzung der hier lebenden Türken dienen.

Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky(SPD) wirft aus diesem Grund Erdogan vor, mit seinem Schul-Vorstoß den „Nationalismus der Türken in Deutschland zu schüren“: „Wir sind keine Exklave der Türkei.“ Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht darin den Ausdruck eines „neuen türkischen Imperialismus“, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus „islamische Expansionsbestrebungen“: Deutschland müsse „nicht nur Integration, sondern auch Assimilation verlangen“, und Merkel solle sich in Ankara türkische Einmischungen in deutsche Angelegenheiten verbitten. Die Gelegenheit dafür scheint wieder einmal verpaßt.

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