© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Aufgeschnappt
Wanderer kommst Du ...
Moritz Schwarz

Wanderer kommst Du nach Neckarwestheim, sage Du habest uns öffnen gesehen, wie das Gesetz es befahl“, diese Abwandlung der bekannten Sentenz auf dem „Grab des Leonidas“ mag dem Wandersmann in den Sinn kommen, wenn sich in den lieblichen Hügeln der genannten schwäbischen Landgemeinde plötzlich die stählerne Hochsicherheitspforte eines Atomkraftwerks auftut, ihm ein Doppelposten entgegentritt und ihn 438 Meter quer durch den Sicherheitsbereich des Reaktors eskortiert. Bis zur anderen Seite, wo er wieder ins beschauliche Neckartal entlassen wird – Deutschlands einziger für jedermann begehbarer Atommeiler!

Wo sonst als im Musterländle wäre dieses idyllische Nebeneinander von Tradition und Fortschritt möglich? Denn als das heute dem Energieversorger EnBW gehörende „Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar“ ab 1972 über dem alten Treidelpfad und Wanderweg errichtet wurde, wollte die 3.500 Seelen-Gemeinde weder auf die Gewerbesteuer verzichten, die sie heute mit über dreißig Millionen Euro Rücklagen zu einer der reichsten der Gegend macht, noch auf ihr angestammtes Wegerecht. So einigte man sich auf jene charmante Lösung.

Knapp vierzig Jahre lang ging auch alles gut, bis 2009 ein AKW-Mitarbeiter heimlich Sicherheitsmängel gefilmt haben wollte – die allerdings nichts mit dem Wanderweg zu tun haben. Doch nun wurde das Geheimnis der Neckarwestheimer bekannt, die Forderung der ortsfremden Landespolitik nach Sperrung des Weges laut. Vergeblich, denn mit Bürgerstolz vor Königsthronen hat man jetzt durchgesetzt: Der Wanderweg bleibt! „Oh, Wanderer kommst Du nach Neckarwestheim ... “

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