© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Erdogan der Eroberer
Die türkische Landnahme Europas: Realitätsverweigerung in Berlin
Michael Paulwitz

Kaum ein Staatenlenker spricht so unverblümt aus, was er vorhat, wie der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan. Kaum eine politische Klasse ignoriert das Offensichtliche so verbissen wie die deutsche. Der Diskurs über Erdoğans Forderung nach türkischen Gymnasien in Deutschland war ein Paradestück bizarrer Realitätsverweigerung: Ihm geht es weder um Bildungsfragen noch um „Integration“ im hierzulande üblichen schwammigen Sprachgebrauch – er will seine Landsleute in Deutschland zur fünften Kolonne einer noch weiter voranzutreibenden Landnahme formieren.

Um das zu begreifen, hätte es genügt, das auslösende Interview Erdoğans sorgfältig zu lesen: Sein Vorstoß zu türkischsprachigen Schulen wird eingerahmt von der Forderung nach uneingeschränkter Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft und nach einer Vollmitgliedschaft seines Landes in der Europäischen Union.

Für Erdoğan gehört das alles zusammen. Seine oberste Priorität ist der Ausbau der Machtposition seines Landes – durch Freizügigkeit für die demographischen Überschußpotentiale der Türkei in ganz Europa, um die Kolonien seiner Landsleute noch auszubauen und gleichzeitig ihre türkische Identität zu festigen. Aber auch um sie als anerkannte nationale Minderheiten zu etablieren, damit sie die Politik der Gastländer in seinem Sinne beeinflussen und ihm nicht zuletzt die Teilnahme am Brüsseler Geldumverteilungsbasar und das Aufmischen der EU-Gremien ermöglichen.

Dieses strategische Ziel verfolgt der muslimische Politiker seit Jahren konsequent und ohne große Umschweife. Er hat es in seiner Kölner Rede vor zwei Jahren ausgesprochen: Die „türkische Gemeinschaft“ solle „in der deutschen politischen Landschaft Einfluß ausüben“. Dafür sollten seine Landsleute Staatsbürger werden und politische Ämter anstreben; dann könnten sie „Lobbyismus betreiben, um unsere Interessen zu schützen“.

Noch deutlicher wurde Erdoğan Ende Februar bei einer Rede vor zweitausend Auslandstürken, darunter etliche Parlamentarier europäischer Staaten, die die türkische Regierung – nicht zum ersten Mal übrigens – nach Istanbul geladen hatte: „Zwei Pässe zu haben, wird euch nicht von eurer hauptsächlichen Identität entfremden – ihr seid die Blutsverwandten eines Landes, das die Beitrittsverhandlungen mit der EU fortsetzt.“

Man darf annehmen, daß Erdoğans Appell, „wir müssen die europäische Kultur mit der türkischen impfen“, nicht im Sinne einer Immunisierung gemeint war.Er folgt der Agenda der demographischen Landnahme, die schon vor über dreißig Jahren Süleyman Demirel, einer seiner Amtsvorgänger, dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt dreist vor die Nase gehalten hatte: „Wir produzieren die Kinder, und ihr werdet sie aufnehmen.“ 65 Prozent der Türken seien unter 35 Jahre alt, „wir sind die Lösung für das Problem der Überalterung der europäischen Arbeitsmärkte“, prahlte Europaminister Egemen Bagis jüngst in Wien. Der türkischstämmige Unternehmer und SPD-Europaabgeordnete Vural Öger, auch einer, der als „unser Abgeordneter“ von „seinem“ Ministerpräsidenten nach Istanbul eingeladen worden war, hatte es vor sechs Jahren noch drastischer und allenfalls halb im Scherz gesagt: „Was Sultan Süleyman 1529 mit der Belagerung Wiens begonnen hat, werden wir … mit unseren kräftigen Männern und gesunden Frauen verwirklichen.“

Integration im einzig denkbaren Sinne, nämlich als freiwillige Assimilation im Aufnahmeland, steht dieser Landnahme entgegen. Sultan Erdoğan der Eroberer erklärt sie deshalb zum „Verbrechen“; für ihn bedeutet Integration nur eins: demographische Potenz in politische Machtbeteiligung umzuwandeln. Deshalb mahnt er die Türkinnen zum Kinderkriegen und fordert muttersprachlichen Unterricht für „seine“ Türken. Deshalb fordert er leichteren Zugang zum deutschen Paß, deshalb schafft er ein neues Amt für die Auslandstürken und verleiht ihnen das Wahlrecht in der Heimat. Man muß ihm nur zuhören, dann weiß man, wohin die Reise geht.

Erdoğans triumphale Pose ist dabei kaum verwunderlich; wie ein osmanischer Sultan auf Kriegszug hat er seine Kollaborateure, auf die er sich verlassen kann: die integrationsseligen Islamkonferenzler, die mit seiner weisungsgebundenen Religionsbehörde Ditib von gleich zu gleich verhandeln; SPD-Chef Gabriel, der eilfertig Türkisch-Unterricht an deutschen Schulen und ein allgemeines Wahlrecht für alle Einwanderer fordert, damit nächstes Mal überhaupt noch jemand SPD wählt; Altkanzler Schröder, der ihm nach dem Munde redet, und all die anderen Beitrittslobbyisten quer durch die Parteien. Wer nicht lauthals jubelt, kommt ihm wenigstens beflissen Schritt für Schritt entgegen wie die Kanzlerin auf ihrer Türkeireise.

Die Machtfrage ist gestellt. Sie verlangt klare Antworten. Die können nur lauten: Integration heißt Assimilation. Türkische Schulen und Sondereinrichtungen kann es deshalb nicht geben. Und ein EU-Beitritt der Türkei kommt nicht in Frage, weil er die Gemeinschaft sprengen würde.

Sultan Erdoğan steht vor Wien und vor Berlin. Die Zeit arbeitet für ihn. Mit sozialindustriellem Palaver wird er nicht aufzuhalten sein. Daß einige Politiker, auch türkischstämmige, ihm scharf Kontra gegeben haben, ist immerhin ein ermutigendes Zeichen.

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