© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

Erlauchte Gesellschaft
Gegen Dämonisierung: Die HU und der Kindesmißbrauch
Hans Christians

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht sich in diesen Tagen unangenehmen Fragen ausgesetzt. Wie ist ihre Mitgliedschaft in der Humanistischen Union (HU) vereinbar mit den Aufgaben ihres Amtes – fordert die HU doch bereits seit Jahren die Abschaffung staatlicher Geheimdienste? Und wie steht es mit der Neutralität der FDP-Politikerin, wenn sie angesichts der zutage getretenen Mißbrauchsfälle vor allem der katholischen Kirche die Leviten liest, andererseits ihre Organisation ein zumindest fragwürdiges Verhältnis im Umgang mit Pädophilen aufweist?

Diese Diskussion nahm in den vergangenen Wochen in einer solchen Art und Weise an Fahrt auf, daß sich die HU genötigt sah, eine Erklärung herauszugeben, in der sie „sexuellen Mißbrauch an Minderjährigen auf das schärfste verurteilt“. Zuvor bezeichnete der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller die älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation als „eine Art Freimaurervereinigung, die Pädophilie als normal ansieht“.

Die Bundesvorsitzende der HU, Rosemarie Will, Professorin für Öffentliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität und Richterin am brandenburgischen Verfassungsgerichtshof, reagierte empört und kündigte rechtliche Schritte an. Gleichwohl betonte sie aber auch, ihre Organisation wende sich gegen eine Dämonisierung von Straftätern und eine Kriminalpolitik der Angst.

Mit dieser Ausführung hat die Vereinsvorsitzende ihrem prominenten Mitglied keinen Gefallen getan. Seit 1999 versieht Leutheusser-Schnarrenberger das Amt einer Beirätin innerhalb der HU, die sich ein Jahr später „mit großer Besorgnis“ zum Sexual- und Jugendstrafrecht äußerte. Schon damals ging es um Kindesmißbrauch. Vor zehn Jahren also warnte man entschieden vor einer „Dämonisierung von bestimmten Tätern und Tätergruppen“. An politische Fahrlässigkeit, „wenn nicht Schlimmeres“, grenze es, die Bekämpfung der „außerordentlich raren Fälle“ zur Aufgabe staatlicher Politik „zu stilisieren“.

Die Humanistische Union ist seit ihrem Bestehen immer wieder gegen den Einsatz des Strafrechts zur Durchsetzung von Sexualmoral eingetreten, weil „Strafe und Repression keine zuverlässigen Ratgeber für Gesinnungs- und Affekttaten“ seien, sondern „eher oft zu ungeplanten Anschlußtaten führen“. Das Strafrecht sei in Verhaltensbereichen wie der menschlichen Sexualität nachweisbar untauglich und nicht selten kontraproduktiv.

Gegründet wurde die Vereinigung 1961 in München. Initiator war der Philosoph und Publizist Gerhard
Szczesny (1918–2002), der zu diesem Zeitpunkt als Redakteur beim Bayerischen Rundfunk beschäftigt war. Ein Jahr später wagte er den Schritt in die Selbständigkeit und gründete einen Verlag, der unter anderem ein „Jahrbuch für kritische Aufklärung“ veröffentlichte.

Zu den HU-Männern der ersten Stunde gehörte auch der prominente Jurist Fritz Bauer (1903–1968). Er spielte unter anderem beim Zustandekommen der Auschwitz-Prozesse in den sechziger Jahren eine tragende Rolle und verriet aufgrund seines tiefen Mißtrauens gegenüber der Nachkriegsjusitz den Aufenthaltsort von Adolf Eichmann ohne Umwege an den israelischen Geheimdienst. Weitere prominente Aktivisten der Gründerzeit waren neben Fritz Bauer und Gerhard Szczesny unter anderem der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich und der spätere Bundesminister Otto Schily.

Von Beginn an vertrat die Humanistische Union extrem kritische Positionen vor allem gegenüber der katholischen Kirche. Sie wandte sich gegen das Privileg des staatlichen Religionsunterrichts. Ein erklärtes Gründungsziel war die „Befreiung des Menschen aus den Fesseln obrigkeitsstaatlicher und klerikaler Bindungen“. Das Prinzip der „geistigen Bevormundung“ durch Staat und Kirche sollte dem Grundsatz der Selbstverantwortung und Selbstverwirklichung des Einzelnen weichen. Wissenschaft, Presse, Literatur, Kunst und Kultur sollten sich ohne staatlichen oder kirchlichen Einfluß auf Basis der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung des Grundgesetzes frei entfalten können.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Humanistische Union von einer rein antiklerikalen Bewegung hin zu einer Bürgerrechtsorganisation, die breite Themenfelder abzudecken versuchte. So setzte sie sich Anfang der siebziger Jahre für die Abschaffung des Paragraphen 218 Strafgesetzbuch ein, da sie das darin verankerte Abtreibungsverbot als unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau ansah. In den Wirren des „Deutschen Herbstes“ traten prominente HU-Mitglieder für eine „Versachlichung“ im Umgang mit den RAF-Terroristen ein.

Heute vertritt die Organisation fast durchweg radikal-linksliberale Positionen. So fordert sie in Veröffentlichungen die Straffreiheit von Drogenbesitz und tritt für eine Legalisierung der Sterbehilfe ein. Öffentliche Resonanz fanden ihre Stellungnahmen zur geplanten Vorratsdatenspeicherung.

Neben Leutheusser-Schnarrenberger gehören auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, ihr Parteifreund Volker Beck sowie der Altliberale Burkhard Hirsch zu den bekannten Vertretern der Humanistischen Union.

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