© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

„Die Gefahr wurde unterschätzt“
Innere Sicherheit: Der deutliche Anstieg linker politischer Straftaten hat eine Debatte über die Extremismusbekämpfung ausgelöst
Hans Christians

Man höre und staune: Ausgerechnet die SPD, die bislang in der Auswahl ihrer Bündnispartner nicht zimperlich war, fordert ein „Sofortprogramm gegen den Linksextremismus“. Angesichts der Zahlen, die Bundesinnenmister Thomas de Maizière (CDU) in der vergangenen Woche präsentierte (siehe auch Seite 2), äußerte sich SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz alarmiert. „Die derzeitigen Bundesausgaben für Extremismusprogramme in Höhe von 25 Millionen Euro reichen vorne und hinten nicht aus.“ Der SPD-Mann forderte, das Problem des linken Extremismus genauer in Augenschein zu nehmen. „Angesichts der alarmierenden Zahlen gilt es, die Ursachen der Gewalt genauer zu erforschen und neue präventive Ansätze zu finden.“ Die Anzahl der politisch motivierten Straftaten war 2009 so hoch wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums hat die Zahl im Jahr 2009 um 6,7 Prozent auf rund 33.900 zugenommen (JF 13/10). Etwa zwei Drittel davon wurden von Rechtsextremisten begangen, ein Drittel von Linksextremisten. Die Zahl der Straftaten aus dem linken Spektrum ist demnach um fast 40 Prozent gestiegen. Dieser Vergleich hinkt allerdings. Was fast alle Medien, aber auch die vermeintlichen Experten aus der Politik verschweigen, ist die Tatsache, daß gewisse sogenannte „politische Straftaten“ nur von Menschen aus dem rechten politischen Spektrum begangen werden können. Als unverdächtige Quelle darf hier das Bundesamt für Verfassungsschutz genannt werden, das im Jahresbericht für 2008 darlegt, daß es sich bei mehr als 80 Prozent der „rechten Verbrechen“ um „Propagan­dadelikte“ handeln würde. Dazu zählen die Verbreitung und Verwendung von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen. In dem Strafkatalog finden sich allerlei Abzeichen und Logos aus der NS-Szene, ihre linken Gegenspieler sucht man dagegen vergeblich, was unter dem Strich nur bedeuten kann, daß der Vergleich der durch beide Extremisten-Gruppen verübten Delikte nur unpräzise sein kann. Hinzu kommt, daß auch die Meinungsdelikte nach Paragraph 130 des Strafgesetzbuches viel häufiger bei Angehörigen der rechten Szene zur Anklage gebracht werden.

Und nicht zu vergessen: Seit 2008 schlagen auch von unbekannten Tätern verübte Propagandadelikte wie etwa Hakenkreuzschmierereien automatisch in der rechten Statistik zu Buche. Dies hat in den vergangenen Jahren allerlei Aktionsprogrammen im „Kampf gegen Rechts“ reichlich Steuergelder beschert. Daß die schwarz-gelbe Bundesregierung nun den linken Extremismus ins Visier nehmen möchte, hat für Aufregung gesorgt: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), seit Jahren stets um die Meinungsführerschaft bei der „Rechten-Jagd“ bemüht, warnte sogleich davor, daß man „die braune Gefahr auf keinen Fall verharmlosen darf“.

Dabei sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. So verweist Innenminister de Maizière darauf, daß vor allem die Gewalt gegen Polizeibeamte stark angestiegen sei und die Hemmschwelle bei den Linksextremisten immer weiter sinken würde. In der Tat: Mehr als die Hälfte der von Linken verübten Körperverletzungen hat sich im vergangenen Jahr gegen Polizisten gerichtet. „Die Gefahren von links wurden von der Öffentlichkeit und der Politik in der Vergangenheit unterschätzt“, sagte de Maizière der Welt.

Die Sicherheitsbehörden haben daher verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen, um derartigen Straftaten künftig noch besser entgegenzuwirken, teilte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage der jungen freiheit mit. „Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt setzen den Schwerpunkt dabei auf das Ziel der verstärkten Aufhellung bestehender militanter Strukturen und eine vermehrte analytische Aufbereitung linksextremistischer Gewalttaten.“

Im Haushalt für das laufende Jahr hat die Regierung bereits versucht, zusätzliches Geld zur Bekämpfung linksextremer Tendenzen freizuschaufeln. Sechs Millionen Euro, die ursprünglich ausschließlich für Anti-Rechts-Programme in den neuen Bundesländern bestimmt waren, sollen nun zur „allgemeinen Extremismusbekämpfung“ eingesetzt werden. Das gefällt natürlich nicht jedem. Der SPD-Linksaußen Sebastian Edathy lief erwartungsgemäß Sturm dagegen: ,,Gerade wenn man sich die neuen Länder anschaut, dann findet man jede Menge Rechtsextremisten, aber nur ganz wenige Islamisten und Linksextremisten“, sagte er der taz. Noch drastischer äußerte sich die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Ulla Jelpke, die selbst wohlmeinende Beobachter als festen Bestandteil der ultralinken Szene einstufen. Sie rechnete die linken Gewalttaten in einem Beitrag für die Junge Welt herunter, in dem sie Straßenblockaden gegen „Nazi-Demos“ und die damit verbundene Gewalt gegen Polizisten als „Zivilcourage von Tausenden Menschen“ bezeichnete, „die sich das Recht herausnehmen, sich im wahrsten Sinne des Wortes querzustellen“. Abenteuerlich sind auch die Schlüsse, die „Experten“ wie der Berliner Gewaltforscher Michael Kohlstruck zogen. Nach seiner Ansicht sei der Rechtsextremismus ein „bundesweites Problem“, während die linke Gewalt „ja nur in Großstädten“ zu finden sei.

Foto:Krawalle am 1. Mai 2009 in Berlin: Die Gewalt von links ist um 53,4 Prozent gestiegen

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