© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Das Casino bleibt offen
Finanzmarkt: Dank staatlicher Rückversicherung geht das riskante Wettgeschäft an Börsen ungehindert weiter
Marco Meng

Während einzelne börsennotierte Banken wieder Rekordgewinne vermelden, müssen die Staaten, die dieses Finanzsystem gerettet haben, Rekordschulden machen – Deutschland genauso wie die USA oder China. Selbst an der Schuldenkrise Griechenlands, die den Euro in Bedrängnis bringt, haben Banken wie das US-Investmenthaus Goldman Sachs mitverdient (JF 12/10).

Daß der deutsche Steuerzahler letztlich auch für die griechische Mißwirtschaft zur Kasse gebeten wird, ist sicher – die Frage ist, wie und ab wann. Dabei ist der Fall Griechenland nur ein Mosaiksteinchen im großen Puzzle des internationalen Finanzzirkusses. So dürfen in Deutschland seit Februar wieder Spekulanten auf fallende Kurse wetten. Das Verbot von Leerverkäufen (short sells), das die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) 2008 als Reaktion auf die Lehman-Brothers-Pleite verhängte, ist ausgelaufen. Nun kann man sich wieder Finanzaktien gegen eine Gebühr leihen – in der Hoffnung, daß deren Kurs fällt. Dann kann man die Papiere wieder günstig einkaufen und an den Verleiher zurückgeben. Die Differenz ist der Gewinn.

Ein Verbot von Leerverkäufen verhindert keine Finanzkrise

Vor allem Hedgefonds nutzen diese Geschäftsidee. Deren Bundesverband Alternative Investments (BAI) hielt 2004 Kritikern entgegen, daß Leerverkäufe segensreich als Marktkorrektiv wirkten, „um den Aktienkurs wieder dem fairen Wert anzunähern“. In Frankreich ist das Leerverkaufsverbot verlängert worden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat nun angekündigt, künftig zumindest bestimmte Formen von Leerverkäufen gesetzlich zu verbieten.

Das eigentliche Problem bleibt damit ungelöst, denn die meisten Börsentransaktionen sind ohnehin reine Spekulation. Ursprünglich waren Aktien dazu da, Firmen Kapital dadurch zu verschaffen, daß sich viele daran beteiligen. Heute werden Anteilsscheine gekauft, weil der Kurs steigt – und schnell wieder verkauft, um den Kursgewinn zu realisieren. Beim Computerhandel geschieht das innerhalb von Sekunden. Der österreichische Ökonom Fredmund Malik sieht die Shareholder Value-Strategie (die auf kurzfristige Aktionärsinteressen ausgerichtete Unternehmensführung) als eine der Ursachen für die Finanzkrise an.

Schnelle Gewinne waren die Meßlatte, an denen sich Top-Manager maßen. Das klappt meist nur, wenn man nicht – wie ein persönlich haftender Unternehmer – an die Zukunft denken muß. Sobald der Börsenkurs kurzzeitig explodiert, steigen Gehalt, Bonus und Abfindung. Das System der AGs stellt sich selbst in Frage, wenn die Mehrheitsaktionäre Investoren sind, die überhaupt nicht am Unternehmen interessiert sind. Ihr Ziel ist kurzfristige Rendite.

Daß die Deutsche Bank für 2011 ein Gewinnziel von zehn Milliarden Euro verkündet (wovon drei Viertel aus dem risikoreichen Investmentgeschäft kommen sollen), überrascht nicht. 2008 mußte das Institut einen Verlust von 5,7 Milliarden Euro vor Steuern vermelden. Ohne die staatlichen Stützungen in dreistelliger Milliardenhöhe wäre auch sie in die Bredouille gekommen. Allein die notverstaatlichte Hypo Real Estate (HRE) wurde vom Steuerzahler mit über 100 Milliarden Euro künstlich am Leben gehalten. Auch der Deutschen Bank, die bei der HRE mit Milliarden Euro engagiert gewesen sein soll, wurde so ein Verlust erspart. Großbritannien und Frankreich wollen eine Sondersteuer von 50 Prozent auf die Banker-Boni erheben. US-Präsident Barack Obama will Finanzinstitute mit einer Bilanzsumme ab 50 Milliarden Dollar für zehn Jahre mit einer Abgabe belasten, die sich auf 0,15 Prozent der Bilanzsumme belaufen soll. Die Bundesregierung zögert noch. Schäuble kündigte zwar an, einen Teil der Kosten der Finanzkrise bei den Kreditinstituten einzutreiben, doch deren Lobbyisten sind einflußreicher als jene der vielgescholtenen Auto- oder Pharmabranche.

Börsenspekulation und verbriefter Kreditbetrug

Die aktuell von Koalitions-Experten diskutierte Sonderabgabe soll nicht in den Bundesetat fließen, sondern in einen Fonds, mit dem künftige Krisen von „systemrelevanten“ Banken abgefedert werden können. Je nach Konzeption könnte sich das Fondsvolumen auf ein bis drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (etwa bis zu 75 Milliarden Euro) belaufen. Der Krisenfonds könnte schneller gebraucht werden, als manche Optimisten glauben. Denn die Finanzmärkte sind trotz Krise noch immer um ein Vielfaches größer als für die Realwirtschaft nötig. Höchstens fünf Prozent der beinahe eine Billion Dollar, die die USA in Rettungspakete investierten, kamen tatsächlich in der Wirtschaft an. Daß hinter jedem „realwirtschaftlichen“ Vorgang heute mehr als ein Dutzend Finanztransaktionen stehen, ist fragwürdig.

Ein Großteil hat mit echter Wertschöpfung nichts zu tun. Das Kreditgeschäft war früher die Vergabe von Buchkrediten, welche man durch Spareinlagen refinanzierte. Dann wurden Darlehen – etwa von einkommensschwachen US-Häuslebauern – „verbrieft“ und weiterverkauft. Auf die 2007 begonnene Subprime-Krise könnte bald eine ähnliche – ausgelöst von Papieren, die auf US-Gewerbeimmobilien basieren – folgen. Doch welche „Finanzinstrumente“ wirklich als nächstes platzen, weiß niemand. Angesichts der längst nicht ausgestandenen Finanzkrise wird daher von Ökonomen diskutiert, ob nicht nur der Finanz-, sondern der gesamte Aktienhandel neuer Reglementierungen bedarf. Ob für eine funktionierende Marktwirtschaft wirklich notwendig ist, daß Unternehmensanteile binnen Minuten ge- und wieder verkauft werden können, ist fraglich. Selbst in Unionskreisen wird inzwischen über eine Börsenumsatzsteuer diskutiert (JF 4/10). Der Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin hatte die später nach ihm benannte Steuer 1972 für spekulative Devisentransaktionen vorgeschlagen. Neuere Konzepte wollen den Wertpapierhandel einbeziehen. Bislang scheiterten entsprechende Vorstöße aber am Widerstand aus New York und London.

Die Wirtschaft soll Werte schaffen. Dies geschieht ausschließlich durch Arbeit. Das Geld, das mit Börsengeschäften, Firmenübernahmen oder Rohstoffspekulation verdient wird, muß anderswo abgezogen werden – oder es wird von Notenbanken erschaffen. Daß letztere Geldvermehrung bislang nicht zu Inflation geführt hat, ist dem Umstand zu verdanken, daß das Geld weniger in den Konsum floß, sondern zum Wiederanstieg der Vermögenspreise (Aktien, Immobilien) führte – der Aktienindex Dax hat so vorige Woche erstmals wieder die 6.000er Marke erreicht. In Deutschland ist zwar der Anteil der Löhne am Volkseinkommen seit 1980 von 65 auf knapp 57 Prozent gesunken. Dennoch sparen die Deutschen weiterhin im Schnitt zehn Prozent ihres Einkommens – und das muß ja irgendwo angelegt werden.

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