© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Nach dem Streik ist vor dem Streik
Universitäten: Die Aktivisten der Studentenproteste sind mit den Reformen des Hochschulsystems unzufrieden und planen neue Aktionen
Lion Edler

Die Beschlüsse der Kultusminister vom Ende des vergangenen Jahres zur Reform des Bachelor-/Master-Hochschulsystem werden von Kritikern als „Reförmchen“ geschmäht. Doch der nächste Schritt soll bald folgen: Am 17. Mai soll nun in Berlin eine nationale Bologna-Konferenz stattfinden, um die vollzogenen Reformschritte zu überprüfen und über die Anpassung von Lehrplänen an das neue Hochschulsystem zu beraten.

Doch den studentischen Gegnern des Bologna-Prozesses zur Umgestaltung der Hochschullandschaft reicht das alles nicht. Sie kündigen eine Fortsetzung der Studentenproteste vom vergangenen Jahr an. Trotz „großer Aufmerksamkeit und kleiner Zugeständnisse“ habe sich „nichts geändert“. Das Bildungssystem werde „genau wie andere gesellschaftliche Bereiche weiter nach wettbewerbsorientierten Kriterien ausgerichtet und immer stärker ökonomisiert“. Es gehe nun darum, „die Auseinandersetzungen im Bildungsbereich als gesamtgesellschaftlichen Konflikt zu verstehen und zuzuspitzen – denn unsere Kritik am Bildungssystem ist zugleich Gesellschaftskritik“. Daher sollen bei den nun nahenden weiteren Protesten „vielfältige Aktionsformen“ wie Demonstrationen, Blockaden oder Besetzungen ihren Platz finden.

Sachsen-Anhalts Bildungsminister und Vertreter der Kultusministerkonferenz, Jan-Hendrik Olbertz (parteilos), schlug unterdessen vor, bei der Konferenz im Mai auch Unternehmer einzuladen, um mit ihnen über die teilweise mangelhafte Anerkennung von Bachelor-Abschlüssen zu diskutieren. Offenbar als Reaktion auf die Studentenproteste im vergangenen Jahr hatten die Kultusminister eine Reduzierung des Lehrstoffs und der Prüfungen beschlossen. Als Richtschnur für den studentischen Arbeitsaufwand wurden nun 32 bis 39 Stunden pro Woche benannt.

Weiterhin soll ein Hochschulwechsel durch eine leichtere Anerkennung von Leistungsnachweisen vereinfacht werden. Ferner werden die Universitäten aufgefordert, in Ausnahmefällen auch eine Bachelor-Regelstudienzeit von sieben oder acht Semestern zuzulassen. Der Präsident der Konferenz, Ludwig Spaenle, betonte aber, daß der Bologna-Prozeß unumkehrbar sei. Der Staatssekretär im Wissenschaftsministerium von Rheinland Pfalz, Michael Ebling (SPD), sagte, man werde an der Studiendauer „nicht rütteln“. Der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, forderte dagegen mehr Geld, um Master-Studienplätze auszubauen und die Qualität der Betreuung zu verbessern.

Studenten hinterlassen Verwüstungen 

Eine zentrale Forderung des Studentenstreiks wurde indes nicht erfüllt: „zur Qualitätssicherung oder aus Kapazitätsgründen“ können Hochschulen weiterhin eigens Zulassungsbeschränkungen für das Master-Studium festlegen. Kleine Erfolge konnten die Streikenden allerdings an Stellen erzielen, bei denen es um finanzielle Forderungen ging. So kündigte die Bundesregierung zum 1. Oktober 2010 eine Erhöhung der Bafög-Leistungen um zwei Prozent an. Doch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) koppelt das Gesetzesvorhaben an das neue Modell für Leistungsstipendien. Die besten zehn Prozent eines Studienjahrgangs sollen durch dieses Modell 300 Euro im Monat erhalten – was zur Hälfte bei Unternehmen eingeworben werden soll, die andere Hälfte soll der Staat zahlen. Die Bundesregierung plant dafür eine Teilung der Kosten in je 50 Prozent für Land und Bund.

Daneben konnten die Streikenden einzelnen Universitäten individuelle Zugeständnisse abringen. So senkte etwa die Bamberger Universität infolge des Studentenstreiks ihre Studiengebühren von 500 auf 400 Euro – die Streikenden forderten eine Senkung auf 300 Euro. Der Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität München, Bernd Huber, kündigte an, die Studiengebühren in Höhe von 500 Euro zu überprüfen. Noch gebe es jedoch keinen konkreten Vorschlag, derzeit sei eine Kommission mit der Problematik befaßt. Schavan kündigte indessen die Vorstellung eines umfangreichen Programms zur Verbesserung der Lehre an den Universitäten in den kommenden Wochen an, bislang ließ sie jedoch keine Details durchscheinen.

Die im Zuge der Studentenproteste besetzten Hörsäle an über hundert Hochschulstandorten sind mittlerweile wieder geräumt. Nicht immer freiwillig: Unter anderem in Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Köln und Heidelberg mußte die Polizei einschreiten. An der Freien Universität Berlin und in Düsseldorf wurden Studenten von Polizisten aus der Universität getragen, die Westfälische Wilhelms-Universität in Münster stellte Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs, vereinzelt kam es zu Festnahmen.

Auf dem Frankfurter Campus West­end ist nach Verwüstungen durch Studenten ein Schaden von bis zu 400.000 Euro entstanden, nach der Räumung der Universität kam es zu Straßenblockaden mit Festnahmen. Auch im Falle der Münchner Universität ermittelt die Kriminalpolizei gegen Streikende wegen Sachbeschädigung. In Hamburg erlebte die Polizei bei der Räumung des Audimax eine Überraschung: Unter den Besetzern befanden sich nur wenige Studenten.

Foto: Studentenproteste im vergangenen Jahr: Für die kommenden Monate sind neue Demonstrationen angekündigt

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