© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Politische Zwänge
Historikerkommission: Bis zu 25.000 Tote bei Luftangriffen auf Dresden
Doris Neujahr

Die „Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945“ ist in ihrem Abschlußbericht zu dem Ergebnis gekommen, daß bei den Bombardements maximal 25.000 Menschen ums Leben gekommen sind statt einer Anzahl im dreistelligen Bereich. Die von vielen Zeitzeugen behauptete Beschießung durch Tiefflieger habe es gar nicht gegeben. Das Gutachten, das in mehrjähriger Arbeit entstanden ist, wird nicht das letzte Wort in dieser Sache bleiben, und zwar unabhängig davon, ob es die Ereignisse von 1945 zutreffend beschreibt oder nicht. Dafür sorgt der Kontext seiner Entstehung.

Die Kommission beansprucht, „allein wissenschaftlichen Maßstäben“ verpflichtet gewesen zu sein und „ergebnisoffen“ gearbeitet zu haben. Gleichzeitig betont sie die „geschichtspolitische Relevanz“ des Themas. Was ergibt sich aus beidem? Es macht hellhörig, wenn am Ende des Berichts windungsreich bekundet wird, man unterstütze die „beherrschende Deutung des alliierten Luftkriegs als Teil eines legitimen und moralisch gerechtfertigen Verteidigungskrieges gegen das nationalsozialistische Deutschland“ und lehne „Gegenerzählungen“ ab.

Die historische, kriegsrechtliche und moralische Simplifizierung, die hier als Voraussetzung formuliert wird, korrespondiert mit dem Jubel der Medien, der „rechten Mythenbildung“ sei jetzt der Boden entzogen. Bei soviel Übereinstimmung ist es lebensfremd anzunehmen, die Kommission hätte sich vom öffentlichen Erwartungsdruck freihalten können, der ihre Arbeit von Anfang an begleitete und auf ein klares geschichts- und gesellschaftspolitisches Ziel gerichtet war. Ein anderes Ergebnis als das vorliegende hätte „den Rechten“ demnach ja Munition geliefert. Welcher im staatlichen Auftrag agierende Wissenschaftler darf es wagen, sich solchem Verdacht auch nur andeutungsweise auszusetzen?

Für die Absicht einer geschichtspolitischen Generalprävention spricht auch, daß im Kapitel über die Tieffliegerangriffe unterschlagen wird, daß solche Bordwaffenattacken auf Zivilisten an vielen Orten stattgefunden haben. Das ist in zahllosen Familienüberlieferungen verbürgt, und keine Historikerkommission wird das widerlegen können. Auch wenn es sie in Dresden nicht gegeben haben und die Kommission sich im Recht befinden sollte: Indem die Historiker diese Tatsache ausblenden, setzen sie sich dem Verdacht aus, nur das zielführend erforscht und bestätigt zu haben, was politisch erwünscht war.

Mit dem Gutachten soll das Dresden-Bombardement, dessen Erinnerung bis heute ein deutscher Sonderfall geblieben ist, endlich der bundesdeutschen Geschichtspolitik unterworfen werden. Die Gutachter verweisen darauf, daß „Dresden“ ein wichtiger Teil der DDR-Staatsideologie war. Sie vergessen hinzuzufügen, daß die Rezeption mehrschichtig verlief: Mit der Anklage gegen den anglo-amerikanische Bombenterror konnten die Dresdner sich ohne weiteres identifizieren, denn sie entsprach ja ihren Erfahrungen. Die tagesaktuellen Angriffe gegen den „BRD- und USA-Imperialismus“ dagegen, die die SED-Führung damit verband, wurden ignoriert. Gleiches galt für das abgepreßte Bekenntnis zum SED-Staat. Wie wenig von den äußeren Zumutungen in Herzen und Hirne drang, zeigte sich 1989. Unter dem Druck der Ost-West-Dialektik wölbte die DDR-offizielle Ebene des Dresden-Mythos sich als Schutzhülle um einen privaten Innenraum, in dem die private, nicht-ideologisierte Trauer um tote Angehörigen und die zerstörte Stadt stattfand. Dieser ideologiefreie Bezirk blieb über die Wiedervereinigung hinaus bestehen und wurde zum Exil für jene, die das bundesdeutsche Trauerverbot nicht akzeptieren.

Politische Zwänge gab es auch in der Bundesrepublik, denn die Mächte, die gebombt hatten, waren nun Verbündete. Ein Schuldprotestantismus, der Trauer ohne vorgeschaltete Selbstanklage als „Schuldaufrechnung“ verdammte, senkte die Zwänge sogar ins Innere. Nicht wenige indoktrinierte Deutsche scheinen heute bereit, die alliierten Bomberflotten als Vorauskommandos der Rosinenbomber samt Care-Paketen zu feiern. Die Wiedervereinigung führte zu keiner gegenseitigen Reinigung der zwei geistig maladen Teile Deutschlands, über die kranke Struktur der DDR schob sich lediglich die der Bundesrepublik. Die Eroberung Dresdens bildet den vorläufigen Schlußpunkt dieses Prozesses.

Möglich ist diese Entwicklung, weil die Kriegsverwundung wohl zu tief war, um durch Selbstheilungskräfte überwunden zu werden. Der Schriftsteller W. G. Sebald hat 1997 in seinen Vorlesungen über „Luftkrieg und Literatur“ festgestellt, den Nachkriegs-Deutschen sei es gelungen, ihre Herkunft aus der tiefsten Erniedrigung, die sich in Trümmern, in Hunger- und Kälteödemem, in Rattenplagen manifestiert, faktisch zu akzeptieren. Zugleich wollten sie sie aus ihrem Gedanken- und Gefühlshaushalt ausschalten, weil die schandbare Herkunft ein Stigma bleibt.

Die Geschichtspolitik, in die das Dresden-Gutachten sich einfügt, bedient diesen Widerspruch: Entweder war es damals gar nicht so schlimm, oder die Deutschen hatten auch das Schlimmste verdient – oder beides! Nach überwundener Verwirrung steht die Wiedervorlage des Gutachtens an.

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