© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Mit Pessimismus kommt man nicht weit
Meinhard Miegel auf den Spuren des Club of Rome: Seine Absage an das Streben nach Wachstum bietet wenig Substantielles
Bernd-Thomas Ramb

Es fängt schon mit dem Buchtitel an: „Exit“! Das klingt nach Grabgesang und Abschiedsrede, Aussteigen oder Auswandern, Ende eines Rundgangs durch die schaurige Ausstellung der weltlichen Verfehlungen. Der Untertitel führt zu keiner Verbesserung, noch nicht einmal zu einer Klarstellung. Wohlstand ohne Wachstum – ein Gegenentwurf zu Ludwig Erhards wegweisendem Wirtschaftswunder-Werk „Wohlstand für alle“ oder eine Fortsetzung der „Grenzen des Wachstums“, des Weltuntergangsthrillers der achtziger Jahre? Das neue Buch von Meinhard Miegel wirft schon vor der ersten Seite eine Menge Fragen auf, deren Beantwortung der Leser mit Spannung erwartet – zumal es „Denen, die über Tag und Tellerrand hinausschauen“ gewidmet ist.

Der anfängliche Prolog bietet in-dessen keine große Erleuchtung. Auf 26 Seiten wird über die bösen Spieler und Schaumschläger, die gierigen Menschen und üble Geschäftemacherei schwadroniert, daß dem Leser vor lauter zeitaktuellen Rundumschlägen schwindelig wird. Der Stoff reicht für 26 Tagesschau-Kommentare, erhellt aber kaum, worauf der Autor eigentlich hinaus will. Aber dann – zweiter Abschnitt: Wachstumswahn. Mit der bangen Frage: „Warum muß für sie die Wirtschaft immer weiter wachsen, der materielle Wohlstand unaufhörlich steigen?“ Aber wer sind „sie“? Miegels Einschränkung: die Bevölkerungen vieler Länder. Miegels Begründung: Die sind weitgehend „krisenentwöhnt“. Iraker und Israelis sind also ausgenommen. Der Rest des Abschnitts ist globale Ursachenanalyse: „Wachstum um des Wachstums, Arbeit um der Arbeit willen, Wachstum und Ar-beit, die mitunter sogar Wohlstand vernichten und Lebensgrundlagen beschädigen!“ Das erinnert alles ein wenig an Ludwig Erhards alte Ermahnung zum „Maßhalten“.

Anschließend wiederentdeckt Miegel – ist er am Ende ins Lager der Ur-Grünen übergewechselt? – dann die eigentlich schon in Vergessenheit geratenen Visionen des seligen „Club of Rome“ zu den globalen Wachstumsgrenzen, die geschundene Erde in der Knechtschaft der Konsumfetischisten, das Ende der heilen Welt und – nicht zu vergessen – die zu Stichflammen verbrennenden Lichterketten.

Dabei sieht der Autor bereits zum Anfang seiner Endzeitprognose: „Die prinzipielle Uneinlösbarkeit des Glücks- und Heilsversprechens immerwährender materieller Wohlstandsvermehrung und der damit einhergehende Kollaps wachstumsfokussierter Kulturen ist keineswegs bloß ein hypothetischer Gedanke, sondern höchst real.“ Damit regeln sich die Probleme doch eigentlich von selbst, oder? Warum noch dieses seitenlangatmige Lamentieren?

Zumal wir sowieso nicht mehr fra-gen können, wieviel Wachstum wir uns noch wünschen, sondern fragen müssen, wieviel Wachstum wir uns noch erlauben können. Miegels Bilanz fällt erwartungsgemäß vernichtend aus: Luft weg, Wasser weg, Land weg, Rohstoffe weg, Energie weg, Nahrung weg, Bevölkerung weg – zumindest schrumpfend und migrierend –; die Gesellschaft demzufolge zerbrechlich, unmündig, gedopt, hilflos und überfordert.

Nach der abschließenden „Bilanz des Scheiterns“ erscheint wirklich alles verloren – doch Miegels Rettung naht: „Wie wir besser leben können“, ist der abschließende Buchteil betitelt. Um es kurz zu machen: weniger fressen und saufen, mehr ins Theater gehen und ehrenamtliche Gemeindedienste leisten. Daß da noch niemand darauf gekommen ist?

Spätestens jetzt sollte der Leser erkannt haben, daß der Rezensent ein treuer Verehrer des geschätzten Autors ist. Die Enttäuschung über das neue Miegel-Buch entspringt dem hohen Maßstab, den seine früheren Werke gesetzt haben. Insbesondere seine Analyse „Die deformierte Gesellschaft“ dient dem Rezensenten mit 34 Markierungslaschen als wegweisendes Werk in ständigem Zugriff. Beim „Exit“-Buch fehlen solche Marken.

Miegel scheint das selbst zu spüren, denn im Epilog des neuen Buches (und immer noch kein Ende!) spricht er den greinenden Eindruck seiner schier endlosen Tiraden indirekt selbst an. „Mit Pessimismus kommt man nicht weit“, gibt er zu, „denn Pessimismus lähmt, und Optimismus beflügelt“ – wahre Einsichten. Aber selbst da findet Miegel einen Ausweg zum Ausweg und zieht eine „Schadensbilanz des Optimismus“: Individuelle und kollektive Katastrophen nähmen oft genug ihren Ausgang im optimistischen Überschwang. Für die jungen Generationen klingt das Resümee des 70jährigen Autor wahnsinnig erbaulich.

Die Bilanz zu Miegels Buch „Exit“: Zu fünf Prozent findet sich darin Neues, zumindest lange nicht Erwähntes, zu fünf Prozent Falsches, zumindest Mißverständliches (man merkt, daß Miegel Sozialwissenschaftler und kein Ökonom ist – für jene existiert nämlich auch ein Wachstum immaterieller Güter, so daß für deren wohlfahrtsstiftende Wirkung durchaus ihr Anwachsen wünschenswert wäre – selbst im Miegelschen Sinne). Der Rest ist Wiederholung der beiden ersten Rubriken. Ob dies ein Fehlurteil ist, mag der Leser selbst entscheiden. Immerhin schickt sich das Buch an, wieder ein Bestseller zu werden.

Meinhard Miegel: Exit. Wohlstand ohne Wachstum. Propyläen Verlag, Berlin 2010, gebunden, 304 Seiten, 22,95 Euro

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