© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Frisch gepresst

Braune Sozialisten. Der Marburger DKP-Politologe Reinhard Kühnl, in der alten Bundesrepublik am meisten gelesener „Faschismus“-Experte, hat sich Mitte der 1960er als einer der ersten mit dem Phänomen des „linken Flügels“ in der NS-Geschichte beschäftigt, nachdem kurz zuvor Gerhard Schildt in einer Freiburger Dissertation den Spuren der „Arbeitsgemeinschaft Nordwest“, dem 1925 sich formierenden Kreis um Gregor Strasser und den jungen, noch ganz „sozialistisch“, mitunter gar „bolschewistisch“ träumenden Joseph Goebbels, nachgegangen war. Seitdem hat sich manche Arbeit der Frage gewidmet, wie ernst zu nehmen eigentlich der Name von Adolf Hitlers „Bewegung“ sei, die sich national und sozialistisch nannte und die eine „Arbeiterpartei“ zu sein vorgab. Man erinnert sich an die breite Ablehnung, auf die Rainer Zitelmanns Deutung Hitlers als „Sozialrevolutionär“ stieß. Letzlich sei eben doch alles nur Propaganda und Demagogie gewesen, was die NSDAP zur Lösung der „sozialen Frage“ ohne „Klassenkampf“ zu bieten gehabt habe. Ob man dies nach der quellenbasierten Sondierung des gelernten Betriebswirts Markus März, Jahrgang 1971, noch so stehenlassen darf, ist zumindest für den spätestens 1932 aus der Partei „herausgesäuberten“ Strasser-Flügel fraglich. In seiner mitunter ermüdend kleinteiligen, die wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen breit referierenden, um möglichst vollständige Berücksichtigung der „linken“ NS-Publizistik bemühten, leider aber ohne thesenartige Zusammenfassung endenden Arbeit porträtiert März die Verlierer eines innerparteilichen Machtkampfes mit einer Hingabe, wie sie sonst nur den Siegern der Geschichte zuteil wird (Nationale Sozialisten in der NSDAP. Strukturen, Ideologie, Publizistik und Biographien des national-sozialistischen Strasser-Kreises von der AG Nordwest bis zum Kampf-Verlag 1925–1930, Ares Verlag, Graz 2010, broschiert, 652 Seiten, Abbildungen, 34,90 Euro).

 

Ostpreußens Gauleiter. Über Erich Koch (1896–1986), von 1928 bis 1945 NS-Gauleiter und Oberpräsident Ostpreußens, hat Ralf Meindl 2007 eine fast 600 Seiten starke politische Biographie, seine Freiburger Doktorarbeit, veröffentlicht (JF 47/07). Fast gleichzeitig erschien die ebenso umfangreiche Dissertation Christian Rohrers, die Koch in den Mittelpunkt einer Analyse der NS-Machtstrukturen Ostpreußens stellt. Auf der Grundlage heute verfügbarer Quellen haben Meindl und Rohrer das Thema also erschöpfend behandelt. Wer nach ihnen kommt, ist zwangsläufig zum Abschreiben verdammt. Eine solche Nachtreterei nicht scheuend, hat sich der ehemalige Welt-, jetzige Focus-Journalist Armin Fuhrer ans Werk gemacht. Die hurtige Kompilation, an der sich zu einem äußerst geringen Teil auch Heinz Schön, der Chronist der „Gustloff“-Tragödie beteiligte, erscheint unter dem effektvollen Titel „Erich Koch – Hitlers brauner Zar“ (Gauleiter von Ostpreußen und Reichskommissar der Ukraine. Olzog Verlag, München 2010, gebunden, 248 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro). Ehrlicherweise erhebt das Buch keine wissenschaftlichen Ansprüche, kommt ohne Fußnoten und mit einem bescheidenen Quellen- und Literaturverzeichnis aus. Frappieren muß, daß Fuhrer, der doch Kochs verbrecherisches Treiben in der Ukraine – wo sein „Herrschaftsbereich“ im September 1942 von Königsberg über Bialystok, Kiew, Nikolajew und Poltawa bis zum Schwarzen Meer und auf die Ostseite des Dnepr reichte – schon im Titel exponiert, die dazu sehr umfangreiche angelsächsische Forschung, erwähnt sei nur Wendy Lowers Monographie über das „Nazi Empire-Building and the Holocaust“ (2005) in Kochs Herrschaftsbereich, souverän ignoriert. Immerhin: Wer die Lektüre profunder wissenschaftlicher Studien scheut, fühlt sich mit Fuhrers „flotter“, doch insgesamt zuverlässiger Wiederaufbereitung vielleicht gut bedient.

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