© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

„In unserer Welt gelten eigene Gesetze“
Mit ihrem aufrührenden Buch schildert Aylin Korkmaz ihr Schicksal als überlebendes Opfer eines „Ehrenmordes“ durch ihren türkischen Ehemann
Fabian Schmidt-Ahmad

Wer heutzutage auf die Probleme hinweist, die mit Einwanderern aus völlig fremden Kulturen notwendig verbunden sind, dem wird gerne „Menschenverachtung“ unterstellt. Freilich verbirgt sich dahinter die kaum verhohlene Absicht, die angesprochenen Probleme leichter ignorieren zu können. Dadurch nimmt man allerdings eine Haltung ein, die tatsächlich menschenverachtend ist. Denn das feige und peinlich berührte Wegschauen, wenn Menschen inmitten unseres Gemeinwesens unter den Zwängen und Mißhandlungen einer anderen Kultur leiden, kann schwerlich anders bezeichnet werden.

Zeugnis von einem solchen Schicksal ist das Buch von Aylin Korkmaz. Schwer verletzt überlebte die Türkin am 21. November 2007 einen sogenannten „Ehrenmord“-Versuch. Der Täter – ihr kurdischer Ex-Ehemann – lauerte der dreifachen Mutter mit zwei Messern auf. Insgesamt 26 wuchtige Hiebe in Gesicht und Oberkörper sollten die Ärzte später zählen. Verletzungen, die eigentlich den sicheren Tod bedeutet hätten. Es wäre ein weiterer jener vielen Fälle in Deutschland gewesen, die vor verschüchterten Gerichten gerne als „Totschlag“ verhandelt werden, aber doch nur mörderische Sanktionen einer archaischen Sozialordnung sind.

Doch ein kleines Wunder geschieht – Korkmaz überlebt. Ihre nun veröffentlichte Autobiographie bietet die wertvolle Gelegenheit, sich dem vielschichtigen Problem des „Ehrenmordes“ zu nähern. Verdichtet in einem Leben begegnet der Leser gleich mehreren Konfliktlinien. Da sind zunächst die Kindheitsjahre der 1972 in Adana geborenen Korkmaz. Die wohlsituierte Familie pflegte einen ausgeprägt westlich-mondänen Lebensstil, der sich jedoch mit dem frühen Tod des Vaters änderte. Denn auch in dem progressiv-kemalistischen Umfeld ist die Situation einer Witwe schwierig, später kommt auch noch die Scheidung vom Stiefvater hinzu.

Ursprünglich wollte Korkmaz studieren, doch trotz ihrer Begabung erlaubt dies die Mutter nicht, als sie von den freizügigen Verhältnissen an der Universität erfährt. Stattdessen wird sie in die Ehe mit einem Kurden gedrängt. „Hast du die Kleidung gesehen“, sagte entsetzt die 18jährige, als sie auf der Verlobungsfeier zum ersten Mal den zukünftigen Ehemann und dessen Sippe näher kennenlernt: „Die Frauen tragen noch Kopftuch.“ Ausschlaggebend für die Verbindung war die vermeintlich gute Partie mit einem Mann aus Deutschland. Doch hier angekommen entpuppte sich der scheinbare Wohlstand als ein auf Lügen aufgebauter Schuldenberg.

Das schlimmste aber war die ständige Gewalt ihres Ehemannes. Plötzliche, unberechenbare Gewaltausbrüche, weil sie ungehorsam sei, ihm ständig Vorwürfe mache, sich ihm entziehe, sich nicht um ihn kümmere, anderen Männern schöne Augen mache. Gewalt wenn er sie begehrte, Gewalt wenn er sie verachtete, stets gefolgt von weinerlichen Reuebekenntnissen: „Meine Hände sollen im Feuer brennen, wenn dies noch einmal geschieht.“ Kompensiert wurde dies mit Geschenken. „Auch wenn das Geld knapp war, überhäufte mich Mehmet mit seiner Großzügigkeit. Einmal brachte er mir ein Parfüm mit, das andere Mal lud er mich zum Essen ein.“

Deutschland ist zunächst nur eine Kulisse. In Nebensätzen erahnt man, wer eigentlich die rasch wachsende Familie ernährt. Während Korkmaz beginnt, sich für das Land zu interessieren, in dem sie lebt, spricht Mehmet weiterhin nur gebrochen Deutsch und bewegt sich weitgehend innerhalb eines kurdischen Netzwerkes von Verbindlichkeiten und Blutsbeziehungen. Der türkisch-kurdische Konflikt belastet die Familie zusätzlich. „Deine Familie lebt wie die Made im Speck, und meine Landsleute wissen nicht, wie sie überleben sollen.“ Ständig fehlt Geld in der Haushaltskasse, das für kurdische Organisationen aufgebracht wurde. „Selbst das Kindergeld (...) war vor Mehmets Fanatismus nicht sicher.“

Geradlinig wie ein Schiff, das Kurs auf eine Felsklippe genommen hat, scheint die spätere Katastrophe vorgezeichnet. Gab es Umkehrmöglichkeiten? Sicherlich, beispielsweise als nach einem Streit Mehmet auf einmal mit einem Beil vor seiner Frau steht. Schützend hält diese ihr Kind vor sich, was ihr bis heute Gewissensbisse bereitet. Sie flieht nach dem Vorfall in die Türkei, doch als ihre Schwiegersippe von der Trennung erfährt, kehrt sie bald zurück, schon um Konflikte zwischen den Familien zu vermeiden. Der scheinbar geläuterte Mehmet findet bald wieder zu seinen alten Gewohnheiten.

So wie das BMW-Cabrio vor der Tür Besuchern Wohlstand des verschuldeten Haushalts suggerieren soll, hält man die Fassade einer Ehe aufrecht, selbst als die Scheidung rechtskräftig wird. Nur nicht vor den anderen das Gesicht verlieren, das ist Mehmet das Wichtigste. Als diese Möglichkeit zerbricht, ist das Unglück vorgezeichnet. „Selbst einige türkische Nachbarinnen grüßten mich nicht mehr. In ihren Augen hatte ich die Familienehre verletzt.“ Ja, die in Deutschland gestrandeten und in ihrer Entwicklung stehengebliebenen Türken, über die Korkmaz schon kurz nach ihrer Ankunft urteilte: „Meine eigenen Landsleute sollten mir fremder als die Deutschen sein.“

Nicht nur Korkmaz steht der kommenden Entwicklung hilflos gegenüber. Auch Polizei, Jugendamt und Justiz werden zu sinnlos kreisenden Gebilden. „Platzverweis“, „Kontaktverbot“ – ins Grotesk-Lächerliche übersteigerte Maßnahmen vor diesem kulturellen Hintergrund, dem Korkmaz schutzlos ausgeliefert ist. „Mehmets Sippschaft grüßte ihn mit Handkuß“, wird eine Mitarbeiterin von „Terre des Femmes“ über den Prozeß berichten. „Es sollte zeigen: Egal, was ihr deutschen Richter entscheidet, egal, was die deutsche Gesellschaft denkt, in unserer Welt gelten eigene Gesetze. Und nach diesen hat Mehmet seine Ehre wiederhergestellt.“ Jeder einzelne von ihnen könnte ein potentieller Mehmet sein, jeder einzelne von ihnen unter uns.

Aylin Korkmaz: Ich schrie um mein Leben. Ehrenmord mitten in Deutschland. Fackelträger-Verlag, Köln 2010, gebunden, 224 Seiten, 19,95 Euro  

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