© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Ehrenrettung
Surreal: Leo Koflers Werke werden fortgesetzt verstümmelt
Jakob Apfelböck

Der Lebensweg des 1907 geborenen und 1995 verstorbenen marxistischen Sozialwissenschaftlers und Lukács-Schülers Leo Kofler war durch die Bereitschaft gekennzeichnet, die Konsequenzen aus einer Selbstverortung neben den und gegen die jeweiligen politischen Konjunkturen mit Noblesse und Geduld zu ertragen. Als Sohn eines ostgalizischen Großgrundbesitzers fand er in jungen Jahren Anschluß an die österreichische Sozialdemokratie. Da die Lösung der auch ihn bewegenden großdeutschen Frage im nationalsozialistischen Sinne ihn als Juden dem antisemitischen Staatsterrorismus auszusetzen drohte, emigrierte er 1938 in die Schweiz.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte er in den Teil Deutschlands zurück, den er für den perspektivreichsten hielt, in die DDR, in der er an der Universität Halle als Professor lehrte. Die Illusionen über den SED-Staat währten jedoch nur kurz, er überwarf sich mit der Partei und siedelte 1950 in den Westen über. Hier fristete er als Kritiker der stalinistischen Bürokratie, der gleichwohl dem Marxismus nicht abzuschwören trachtete, fast ein Vierteljahrhundert lang ein Gelehrtenleben in den durch Gewerkschaften und Volkshochschulen eröffneten Nischen der Erwachsenenbildung.

Von der in der Neuen Linken hegemonialen, den Marxismus mit intellektueller Gentechnik nach eigenem Gutdünken ummodelnden Frankfurter Schule mit Mißachtung bedacht, wurde ihm sein Lebensabend durch eine Lehrtätigkeit an der Ruhr-Universität Bochum versüßt. An ihrem Zustandekommen soll ausgerechnet der Staatsphilosoph Bernard Willms, der sich in den frühen 1980er Jahren im Geiste des Deutschen Idealismus an einer Neubegründung des Nationalismus versuchte („Die Deutsche Nation“, „Idealismus und Nation“), nicht unbeteiligt gewesen sein.

War Kofler zu Lebzeiten nicht zu verbiegen, so schien sein Werk nach seinem Tod schutzlos dem Schalten und Walten ehemaliger Studenten ausgesetzt, die in Gestalt eines nach ihm benannten eingetragenen Vereins und unter dem Schirm seiner letzten, im vergangenen Jahr verstorbenen Witwe agierten. Ihnen warfen Kritiker vor, Kofler durch Kürzungen und Veränderungen neu edierter Texte zu entstellen, mit dem Ziel, etwa seine Rezeption von Gehlen, Heidegger und Schmitt wie auch sein Eintreten für die Einheit Deutschlands zu vertuschen.

Öffentlich wurde dieser Skandal anläßlich der Herausgabe der Aufsatzsammlung „Nation-Klasse-Kultur“ im Karoliner Verlag, gegen deren Verbreitung Koflers Witwe unter Bemühung des Urheberrechts erfolgreich intervenierte, so daß sie heute lediglich (aber immerhin) antiquarisch erhältlich ist. Andere Kritiker marxistischer Provenienz, die der Hintermännerschaft der Editionsguerilla bezichtigt wurden, sahen sich Zivilklagen ausgesetzt.

Im Windschatten dieses juristischen Vorgehens scheint sich der eigenmächtige Umgang mit Koflers Werk fortzusetzen, wie der ausgewiesene Experte Gordian Noth in einer soeben auf der Internetseite des Karolinger Verlags eingestellten Streitschrift dokumentiert. Er konstatiert, daß die klammheimliche Veränderung nunmehr der expliziten Streichung von Textpassagen Platz gemacht hat. Mal läßt sich dabei eine verharmlosende Absicht vermuten, mal aber auch bloß auf Ignoranz und Schlampigkeit schließen. Die neue Methode des Purgierens ist nicht minder entstellend als die alte: Mit ihr ließe sich auch „Mein Kampf“ zu einem Plädoyer für Kirche und Gewerkschaften zurechtkürzen.

Für Außenstehende mag diese Kontroverse einen surrealen Charakter aufweisen. Sie erinnert in Diktion und Hermetik an die Auseinandersetzung, die Karl Marx 1860 mit Karl Vogt auszutragen gezwungen war, der im Verdacht stand, im Solde des falschen Napoleon zu stehen und der seinerseits den Londoner Exilanten bezichtigte, das Oberhaupt einer intriganten „Schwefelbande“ zu sein. Auch Marx mußte über Gebühr Arbeitskraft investieren, um sich den Machenschaften eines „Kannegießers“ zu erwehren. Jenen, die sich heute die intellektuelle Ehrenrettung von Leo Kofler auf die Fahnen geschrieben haben, scheint dieses Schicksal nicht erspart zu bleiben.

Internet: www.karolinger.at

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