© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Runter vom Sofa!
Frühjahrsmüdigkeit ist keine Einbildung: Die Tage bleiben zwar länger hell, aber ein Hormon macht uns noch zu schaffen
Robert Backhaus

Frühjahrsmüdigkeit ist keine Einbildung, kann man in der neuesten Ausgabe der ApothekenRundschau lesen. Verantwortlich dafür ist das Körperhormon Melatonin. Es stammt noch aus Neandertalerzeiten und regelt unsere Lebensgewohnheiten in Hinblick auf Licht und Finsternis. Es ist selber eine Art Neandertaler und läßt uns das spüren.

In den langen Winternächten breitet es sich in unseren Zellen ungehemmt aus und macht uns träge und schlafgeneigt, eben müde. Werden die Nächte wieder kürzer, verkürzt sich an sich auch unser Bio-Rhythmus, wir werden früher aktiv, aber das Melatonin ist immer noch da, denn es geht langsamer zurück als die Finsternis. Wir sind zwar schon aktiv, doch immer noch müde: Frühjahrsmüdigkeit!

Vorerst gibt es noch kein probates Mittel dagegen, die Pharma-Industrie hatte bisher andere Sorgen. Mit der Frühjahrsmüdigkeit konnte man ja ganz gut leben. Sie diente als Begründung für Zuspätkommen oder für Unaufmerksamkeit in der ersten Arbeits- bzw. Schulstunde. Erst mit Aufkommen der „modernen Leistungsgesellschaft“ mit ihren frühen Terminen breitete sich unter Bürochefs und Klassenlehrern allmählich Unmut über sie aus. Sie hielten sie für eine freche Ausrede ihrer Mitarbeiter und Schüler, eine#n Hort subjektiver Ineffizienz.

Nun ist also wissenschaftlich belegt: Es gibt sie wirklich, diese Frühjahrsmüdigkeit. Man kann jetzt etwas gegen sie entwickeln, irgendwelche Pillen, Kapseln, chemische Muntermacher. Aber vielleicht hilft schon schlichter guter Rat aus Großmutters Weisheitskiste: „Sich regen bringt Segen.“

Man spreche nur einmal mit Hausmeistern, die in den letzten Wochen schon ganz früh aus den warmen Federn mußten, um Schnee zu schippen und Eis wegzuhacken! Sie schimpften zwar und verfluchten das Wetter, aber müde gemacht hat sie die schwere Morgenarbeit nicht, im Gegenteil, alle fühlten sich danach frisch und munter, einige sogar wie neugeboren.

Von Frühjahrsmüdigkeit jedenfalls weit und breit keine Spur mehr. Aber vielleicht schlägt sie demnächst zurück, verkleidet als Sommer- bzw. Urlaubsmüdigkeit. Den Chefs könnte es nur recht sein.

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