© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Aktuelle Botschaften der säkularen Bildungsreligion
Die „Zeitschrift für Ideengeschichte“ gibt sich ideenlos: Unfrische Refl exionen über Alexander und Wilhelm von Humboldt
Daniel Scholtz

Die 2007 ins publizistische Dasein getretene, mithin noch jugendliche Zeitschrift für Ideengeschichte wirkt permanent irgendwie „unfrisch“, um es im Jargon der Antiquare zu sagen. Am intellektuellen Hilfskorps scheint es nicht zu liegen. Zeichnen doch, unter der Federführung von Ulrich Raulff, gleich drei unter Exzellenzverdacht stehende Archive und Bibliotheken, in Marbach, Wolfenbüttel und Weimar, und nicht weniger als 27 mindestens promovierte Redaktionsmitglieder für das Unternehmen verantwortlich.

Gleichwohl bestärkt jedes neue Heft den Eindruck, als hätten sich Redaktion und Beiträger auf die Fakultätsstatuten des frühen 19. Jahrhunderts verständigt, die verboten, in Dissertationen irgend etwas Neues anzupacken. Anders läßt sich kaum erklären, warum der Alexander und Wilhelm von Humboldt gewidmete Schwerpunkt im diesjährigen Frühjahrsheft wieder nur dazu lockt, unter baufälligen Arkaden zu lustwandeln. Das gilt für Andreas W. Daums „Anmerkungen zu Alexander von Humboldt“, die uns das naturwissenschaftliche Universalgenie etwas an den Haaren herbeigezogen als „Ironiker“ präsentieren.

Das gilt viel mehr noch für den Berliner Kirchenhistoriker und derzeitigen Rektor der Humboldt-Universität Christoph Markschies, der hier eine so zitatenfrohe wie gedankenarme Rede vor den erlauchten Geistern des Ordens Pour le mérite unterbringt. Der darin angestrebte Vergleich des genialen Brüderpaares läuft auf eine typisch neuprotestantisch-salbungsvolle Mahnung hinaus, man möge sich doch bitte schön angesichts einer unübersichtlich-spezialistischen Zersplitterung des Wissens in tausend Disziplinen auf humboldtsches „Totalitäts“-Denken besinnen. Eine hilflose Beschwörung der universitas litterarum, wie sie vielleicht vor hundert Jahren bei jeder Immatrikulationsfeier heruntergeleiert wurde.

Stefan Rebenich, ein Biograph von „il gran Teodore“, dem Althistoriker Theodor Mommsen (1817–1903), einem der Hohepriester neuhumanistischen Antikenkultes, hat sich vorgenommen, am Werk Wilhelm von Humboldts (1767–1835) die sinnstiftende Bedeutung primär des griechischen Altertums für die Formierung des Bewußtseins und der „Mentalität“ des deutschen Bürgertums zu demonstrieren. Er meint damit Neuland zu betreten, weil diese Bedeutung „meist vernachlässigt“ worden sei.

Den Fokus auf das emanzipatorische Potential

Kaum nachvollziehbar, daß dieser doch eigentlich recht versierte Autor den gewaltigen Bücherberg übersehen haben sollte, den die intensive Beschäftigung mit jener „Geschichte eines Glaubens“, wie Walther Rehm sein Standardwerk über „Griechentum und Goethezeit“ (1936) untertitelte, in Jahrzehnten aufgehäuft hat. Dabei zitiert Rebenich selbst einschlägige jüngere Arbeiten wie Suzanne L. Marchands „Down from Olympus“ (1996) oder Esther Sophia Sünderhaufs „Griechensehnsucht und Kulturkritik“ (2004).

Neuland wäre also in diesem Rahmen mit einer Geschichte der deutschen Altphilologie oder, weiter gespannt, der Altertumskunde im 19. Jahrhundert zu erschließen, aber nicht mit einer seit Eduard Spranger (1909) nunmehr seit über hundert Jahren abgewalzten Platte über Humboldts am menschlichsten Menschentum der alten Griechen orientiertes „Humanitätsideal“, über seine „säkulare Bildungsreligion“.

Immerhin verrät Rebenichs Deutungsvariante, welche Erwartungen im 175. Todesjahr Wilhelm von Humboldts, in Zeiten forcierter Traditionsverschlankung, sich überhaupt noch auf den Gründer der Berliner Universität richten, die im Herbst ihren 200. Geburtstag feiert. Hebt Rebenich doch wie selbstverständlich das „emanzipatorische“ Potential von dessen Bildungsbegriff hervor. Der enthalte natürlich auch eine elitäre Komponente, weil man sich Bildung eben leisten können muß. Aber entscheidend sei doch die „aktuelle Botschaft“, daß Bildung den Bürger zum „selbsttätigen, selbständigen, selbstverantwortlichen Menschen befreit“. Gerade in einer „globalisierten Welt“ sei „Freiheit“ die erste und unerläßliche Bedingung von Bildung und Wissenschaft, die „der Staat“ nicht beeinträchtigen dürfe.

Obwohl, was hinter soviel Pathos im Nebel verschwindet, vom alten Racker „Staat“ kaum noch eine, vom europäischen „Überstaat“ („Bologna“) aber die eigentliche Gefahr ausgeht. Wenn Rebenich das nicht thematisiert, darf er spätestens hier dem Sonntagsprediger Markschies die Hand zum gemeinsamen Gang auf die Kanzel reichen.

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