© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

Frisch gepresst

Vertreibung. Im Januar 1945 verläßt die 16jährige Hertha Perrau gemeinsam mit Mutter und Tante ihr Elternhaus im westpreußischen Deutsch Eylau. Nur wenig später erobert die Rote Armee das 1280 vom Deutschen Orden angelegte beschauliche Landstädtchen, das, als Trümmerhaufen, bald darauf polnische Okkupanten übernehmen. Die drei Frauen hat es zu dieser Zeit schon nach Mecklenburg verschlagen, wo sie sich im Frühjahr 1945 aber zur Rückkehr in die besetzte Heimat entschließen. Mitten durchs „Land der Vogelfreien“, durch das unter dem polnisch-sowjetischen Regime schmachtende „Totenland“ jenseits der Oder, wie Robert Jungk es in einer aufrüttelnden Reportage für die Zürcher Weltwoche im November 1945 nannte, gelangen sie jedoch nur ins hinterpommersche Stolp. Polnischen Drangsalen ausgesetzt, empfinden sie die „Ausreise“ Ende 1945 als Erlösung. Wie die meisten Vertriebenen bleibt Hertha Perrau, die in Ribnitz-Damgarten ein zweites Zuhause findet, von diesem frühen „Weltverlust“ als Urerfahrung geprägt. Lutz Radtke, 1932 geboren, ihr Nachbar in Deutsch Eylau, nahm sich die Zeit, die eingangs zu Recht als „unvorstellbar“ charakterisierten Erlebnisse Hertha Perraus für die Nachlebenden festzuhalten, zugleich sich bemühend, das Einzelschicksal in den welthistorischen Kontext der verbrecherischen Vertreibung von fünfzehn Millionen Menschen und der Auslöschung der 700 Jahre alten deutschen Kultur zwischen Oder und Memel zu rücken (Treibgut der Geschichte. Mehr als ein Erlebnisbericht: Geschichte, Books on demand, Norderstedt 2009, gebunden, 152 Seiten, Abbildungen, 23,60 Euro). 

 

Stasi-Knast. Den Mauerfall erlebte die Autorin, Birgit Schlicke, im berüchtigten Frauenzuchthaus  Hoheneck bei Stollberg. Mehr als zwanzig Jahre später blickt sie in Form eines Tagebuchs auf diese wohl schwierigste Zeit ihres Lebens zurück. Sie macht deutlich, daß die Aufarbeitung der Verbrechen in der DDR auch heute noch längst nicht abgeschlossen ist. Dabei räumt sie in ihrem Vorwort selbst ein, daß sie mit keinen spektakulären Enthüllungen dienen kann, vielmehr möchte sie den totalitären Charakter der DDR deutlich machen und jungen Menschen ein Stück Zeitgeschichte zugänglich machen. Genau das leistet das Buch. Angefangen von Einschränkungen in der Bildungsfreiheit wegen eines Ausreiseantrages, Verhaftung wegen eines Briefes an die westdeutsche Gesellschaft für Menschenrechte, Verurteilung wegen Landesverrats und die Schilderung über die Schikanen im Gefängnis-Alltag; Schlicke macht den Charakter des Unrechtsstaates deutlich und wendet sich gegen eine Verklärung und Verharmlosung der DDR (Gefangen im Stasi-Knast. Tagebuch einer politisch Gefangenen im Frauenzuchthaus Hoheneck. Lichtzeichen Verlag, Lage 2009, gebunden, 318 Seiten, 12,95 Euro).

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