© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

Die Welt begreifen
„Beruf Dichter“: Wilhelm Lehmann und Bert Brecht
Gunnar Winkler

Gleichzeitig mit dem opulenten Briefwechsel mit dem Bibliothekar Werner Kraft (JF 26/09) kam 2009 endlich der achte und letzte Band der 1982 begonnenen Ausgabe der Werke des Lyrikers, Erzählers und Essayisten Wilhelm Lehmann (1882–1968) im Verlag von Klett-Cotta heraus. Vielleicht auch als Folge eines sich im letzten Jahrzehnt wiederbelebenden Interesses an diesem von Günther Anders als „Hüter der Stille in einer lärmenden, insolenten und blutigen Welt“ und „Bestätiger in einer Welt der Bosheit“ gerühmte Lehmann, den der jüdische Kulturphilosoph gar als „freundlichste und reinlichste Inkarnation Deutschlands“ feierte.

Welches Potential die Bücher des Kleist-Preisträgers von 1923 (zusammen mit Robert Musil) enthalten, zeigt jetzt, zum Abschluß der Werkausgabe, der unter dem Titel „Der grüne Gott und sein Prophet“ in der aktuellen März-Ausgabe der Zeitschrift Merkur erschienene kongeniale Rezen-sionsessay des Schriftstellers und Lyrikers Ulrich Schacht in seinem an Adorno angelehnten Vergleich mit Bert Brecht auf. Lehmann und Brecht waren zwischen 1933 und 1939 nicht nur geographisch, der eine in Eckernförde, der andere im Exil auf der dänischen Insel Fünen, Antipoden. Sie personifizieren auch unvereinbare Auffassungen vom „Beruf des Dichters“. Politisches Engagement und künstlerische Autonomie stünden sich in ihnen gegenüber.

Lehmann sollte Unterrichtsstoff werden

Der gern des „Provinzialismus“ gescholtene Naturlyriker Lehmann, der – obwohl seit 1933 einfaches Parteimitglied – „zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise“ (Schacht) nationalsozialistischem Gedankengut nahestand, geht aus dem Vergleich mit dem „weltläufigen“ Brecht, für den 1938 „ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen“ war, allerdings als der beständigere Autor hervor. Denn „vergiftet von der Unwahrheit seiner Politik“ habe Brechts Akklamation stalinistischer Verbrechen auch die ästhetische Gestalt seiner Texte nicht unbeschädigt gelassen. Der sie „kontaminierende ideologische Provinzialismus“ lasse Brechts Dramatik und Lyrik veralten, so Schacht, während die politischen „Weltumbauplänen und Machtphantasien“ abholde Dicht- wie Essaykunst Lehmanns „Lern- und Reflexionsstoff an deutschen Schulen werden“ sollte.

Literatur: Wilhelm Lehmann, Gesammelte Werke in acht Bänden, herausgegeben von Agathe Weigel-Lehmann, Hans Dieter Schäfer und Bernhard Zeller, Klett-Cotta, Stuttgart 1982–2009

Weitere Infos im Internet: www.wilhelm-lehmann-gesellschaft.de

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