© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

Pankraz,
M. Tomasello und die Lügen der Affen

Zwei Affenforscher erhalten den diesjährigen Max-Planck-Forschungspreis (750.000 Euro): Michael Tomasello, Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, und George Bromage vom New Yorker Institut für Zahnkunde. Während Bromage mit größtem Aufwand die Gebisse lebender und ausgestorbener Affenarten erkundet, beobachtet Tomasello das soziale Verhalten der Schimpansen, vergleicht es mit dem Verhalten menschlicher Babys und zieht daraus Schlußfolgerungen. Bromages Arbeiten sind anerkannt, Tomasellos Schlußfolgerungen sind umstritten.

Der Leipziger behauptet nicht mehr und nicht weniger, als daß allein der Mensch über ein „intentionales“ Kommunikationsfeld verfügt, welches es ihm schon als Baby ermöglicht, sich in andere Menschen hineinzufühlen und sie zu imitieren, gegebenenfalls auch zu täuschen; nur so entstehe Sprache. Der Schimpanse könne dies alles nicht, und deshalb könne er auch nicht wirklich sprechen. Sein Imitieren sei ein folgenloses „Nachäffen“ einiger äußerer Auffälligkeiten, äonenweit entfernt von richtiger „Kultur“.

Professionelle Freilandforscher an Primaten, die in realen Urwäldern mit unendlicher Geduld wildlebende Schimpansen- und Bonobogruppen studieren, werfen Tomasello Laborfixiertheit und Wirklichkeitsferne vor. Volker Sommer etwa, Autor vieler hochinteressanter Reportagen von der Urwaldfront, kann überhaupt nicht verstehen, wie jemand dazu kommt, hochentwickelten Affen kein stammesmäßig vorgegebenes, tief einverseeltes Kommunikationsfeld zuzugestehen. So etwas sei nur mit gefährlicher Ignoranz gegenüber fünfzig Jahren moderner Feldforschung zu erklären.

Auch Pankraz ist davon überzeugt, daß Schimpansen (nicht weniger als Hunde oder Delphine) meistens sehr wohl wissen, was der Stammesgenosse momentan fühlt, beabsichtigt oder verbirgt. Sie können imitieren, sie können lernen, mit Gesten und Lauten auf Gefahren bzw. Futterstellen aufmerksam machen. Natürlich ist das noch kein Denken und Sprechen in streng logischer Anordnung, aber es ist die Vorstufe dazu, eine „semantische Unterwelt“, wie Wolfram Hogrebe es genannt hat. Die Tomaselloschen Unterscheidungen und Abgrenzungen scheinen im Vergleich dazu doch ziemlich dogmatisch zu sein.

Wenn der Leipziger behauptet, die Sprache habe sich aus Gesten entwickelt, so wäre ihm entgegenzuhalten, daß sowohl Gesten wie auch zeigendes, Aufmerksamkeit heischendes Lautgeben nicht das Geringste mit dem zu tun hat, was Sprache eigentlich ist. Denn Sprache ist „Prädikation“.Wir treten aus dem semantischen Untergrund hervor, nicht indem wir gestikulieren und Laute von uns geben, sondern indem wir „prädikatisieren“, d.h. indem wir die Dinge und Phänomene bewußt mit einem „ist“ versehen, sie so gleichsam verdoppeln  und ins Archiv überführen.

In seinem Buch „Maske und Mimesis“ (2007) hat Pankraz der Vermutung Ausdruck gegeben, daß die allererste Prädikation keiner konkret wahrnehmbaren Erscheinung galt, sondern gerade im Gegenteil einer den Sinnen verborgenen Naturgewalt, die trotzdem überall anwesend war und auf deren Wirken man sich so oder so einstellen mußte, ohne vorläufig etwas von sich aus dazutun zu können. Dieser unsinnlichen, transzendentalen Kraft verlieh man zwecks Seinsvergewisserung zuerst das Prädikat „Du bist“, und das war die Geburt der Sprache wie des Menschen.

Hunde, Delphine oder eben auch Affen vollzogen die Prädikation nicht, ihre Gesten und Laute verblieben im Spontanen und Augenblicklichen, und was ihnen nicht sinnlich begegnete, das nahmen sie mit Schicksalsergebenheit hin. Der Mensch hingegen lernte nun, nach vollzogener Ur-Prädikation, daß es ein Gestern und ein Morgen gab, die man berechnen und vielleicht sogar mit Opfergaben, Gesängen und Tänzen beeinflussen konnte.

Und er lernte, daß nicht nur das Unwahrnehmbare, sondern auch die wahrnehmbaren Phänomene prädikatisiert werden konnten. Man konnte ihnen Namen geben und sie grammatisch miteinander verbinden, was die Kommunikation ungeheuer beflügelte. Die Verdoppelung und Archivierung der Welt mittels Prädikation war das Erfolgsgeheimnis der menschlichen Kultur.

Einzig durch Welt-Verdoppelung und Archivierung wurde es möglich, das gefühlshafte und extrem auf den Augenblick orientierte Gestikulieren und Lautgeben in wirkliche Sprache zu verwandeln. Nur so konnte man der unendlichen Plastizität der semantischen Unterwelt Struktur und dauerhafte Bedeutung verleihen, ihre Vieldeutigkeiten und ewigen Äquivokationen bändigen. Dieser Kampf um eine „klare Sprache“ ist ja sogar noch heute im Gange. Er ist und bleibt eine ständige Notwendigkeit, solange es Menschen gibt.

Was aber die Schimpansen betrifft, so können sie mehr, aber auch weniger, als Tomasello glaubt. Sie können nicht prädikatisieren, aber sie können sich durchaus in andere Stammesgenossen hineinversetzen, ihre Absichten einschätzen, sich ihnen anpassen – oder sich ihnen eventuell widersetzen. Mit den Worten Volker Sommers gesagt: Menschenaffen können täuschen, können ihre eigenen Absichten phasenweise schlau verbergen, um zum Ziel zu kommen, können lügen. Was sie nicht können: die Lügen als solche durchschauen und wiedererinnern. Für sie ist alles Imitieren nur ein aktueller Handlungsstrom, sie haben kein Archiv, an dem sie ihre Welt messen könnten.

Bei allem Respekt für den Zahnforscher Bromage: Vielleicht wäre es für die Forschung fruchtbringender gewesen, den Max-Planck-Forschungspreis nicht zwischen diesem und Tomasello aufzuteilen, sondern zwischen Tomasello und einem entschiedenen Feldforscher wie Volker Sommer. Man hätte Tomasello und Sommer nicht nur gemeinsam auszeichnen, sondern regelrecht zusammenspannen sollen, Laboratorium und Urwald, Experiment und freie Beobachtung. Nur so kommt man letztlich zu guten Forschungsergebnissen.

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