© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

Wolkenkratzer im Erdbebengebiet
Finanzpolitik: Dubiose Geschäfte kommunaler Geschäftsführer könnten Leipzig 290 Millionen Euro kosten
Paul Leonhard

Im Leipziger Millionenskandal hat es die erste Verhaftung gegeben. Klaus Heininger, der im Januar geschaßte Geschäftsführer der Kommunalen Wasserwerke Leipzig (KWL), ist von Fahndern der Antikorruptionseinheit „Ines“ des Freistaates Sachsen festgenommen worden. Heininger wird vorgeworfen, gemeinsam mit dem anderen KWL-Geschäftsführer in hochriskanten und hochspekulativen Finanzgeschäften Millionen verzockt zu haben. Es ist der „größte Wirtschaftskrimi der Stadt“, zitiert Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) das Düsseldorfer Handelsblatt und versichert, Leipzig werde für die Spekulationsrisiken bürgen.

Warnungen vor finanziellen Massenvernichtungswaffen

Das jetzt bekannt gewordene Gesamt­risiko aus den nicht legalen Geschäften wird auf rund 290 Millionen Euro geschätzt. Die Auswirkungen seien noch nicht abschließend bezifferbar, sagt Jung: „Ich rechne aber schon heute definitiv mit Millionenforderungen aus diesen Geschäften innerhalb der nächsten Monate.“ Konkret handelt es sich um sogenannte CDS- und CDO-Geschäfte (Credit Default Swap bzw. Collateralized Debt Obligation), die der erfolgreiche US-Finanzinvestor Warren Buffett einmal „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ genannt hat.

Der US-Hedgefonds-Gründer George Soros, der in den neunziger Jahren mit Währungsspekulationen ein Milliardenvermögen verdiente, sieht solche Finanzkonstrukte ebenfalls kritisch: Banken verkauften ihre risikoreichsten Hypotheken weiter, indem sie sie in Wertpapiere mit dem Namen CDO einbanden. Diese „leiteten die Cashflows aus Tausenden von Hypotheken in eine Serie diverser Anleihen mit unterschiedlichen Risiken und Renditen, die auf die verschiedenen Vorlieben der Anleger zugeschnitten waren“, schreibt Soros in seinem Buch über „Das Ende der Finanzmärkte“ (JF 2/09). Der Nennwert der ausstehenden CDS-Verbindlichkeiten sei 2008 auf 42,6 Billionen Dollar geschätzt worden. „Dies entspricht fast dem gesamten Vermögen der US-Privathaushalte. Die Kapitalisierung des US-Aktienmarkts beträgt hingegen 18,5 Billionen Dollar, die des Marktes für US-Schatzpapiere nur 4,5 Billionen Dollar“, rechnet Soros vor.

Was genau in Leipzig geschehen ist, stellt sich so kompliziert dar, daß das Stadtoberhaupt zu einem auch für den Laien verständlichen Bild greift: „Stellen Sie sich vor, Sie besitzen ein Häuschen, das Sie kreditfinanzieren und schließen eine Versicherung ab, die einspringt, falls Sie den Kredit nicht mehr bezahlen können.“ Weil man aber nicht einmal die eigene Versicherung bezahlen könne und überdies weiteres Bargeld benötige, trete man selbst als Versicherer für die Finanzierung anderer Hausbauer auf. Die damit verdiente Prämie nehme man zur Bezahlung der eigenen Ausfallversicherung und parke das restliche Geld auf einem Konto. Das Problem sei nur, erläutert Jung: „Gekauft haben Sie eine Kreditversicherung für ein Eigenheim, gegeben haben Sie die Kreditversicherung für einen Wolkenkratzer, der auch noch im Erdbebengebiet steht.“

Die KWL-Manager haben einer Schweizer Bank Kreditzinsen von 250 Millionen Euro abgekauft und dafür eine Prämie von 40 Millionen Euro erhalten. Davon werden rund 30 Millionen zur Zeit vermißt. Mit dem anderen Geld wurden sogenannte Cross-Border-Leasing-Verträge abgesichert (CBL, JF 48/04). Seit Mitte der 1990er Jahre wurden deutschlandweit zahlreiche – nur auf englisch verfaßte und geheimgehaltene – CBL-Verträge zur vermeintlichen Ausnutzung von US-Steuerschlupflöchern geschlossen – angefangen von den Kölner Verkehrsbetrieben (KVB) bis zu Kläranlagen in Württemberg. Dabei wurde öffentliches Eigentum an US-Investoren verkauft und sofort „zurückgemietet“ – das brachte zunächst Millionen in die Kassen, bis der US-Kongreß 2004 dem Treiben ein Ende setzte.

Probleme mit fragwürdigen CBL-Geschäften hat auch Leipzig nicht zum ersten Mal. Im September klagte die Generalstaatsanwaltschaft nach dreijährigen Ermittlungen neben dem ehemaligen Finanzbürgermeister Peter Kaminski (CDU) und dem Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe auch den nun wieder im Mittelpunkt der Ermittlungen stehenden KWL-Geschäftsführer wegen Bestechlichkeit und Untreue an.

Die neuen Vorwürfe gegen die inzwischen entlassenen Stadtmanager wiegen schwer. So sollen alle Finanztransaktionen bei den Spekulationen einschließlich der eingerichteten Konten an allen Büchern vorbei geführt worden sein. Aufklärung soll eine Arbeitsgruppe bringen, die gemeinsam mit einer renommierten internationalen Rechtsanwaltskanzlei auch die auf die Stadt Leipzig zukommenden Risiken analysieren und Handlungsoptionen vorbereiten soll.

Hochriskante Geschäfte nicht ausreichend geprüft

„Hier waren Finanzhyänen am Werk“, sagt Jung. Deswegen werde man genau die „Rollen aller Akteure, wie beispielsweise Banken, Wirtschaftsprüfer und Berater“ prüfen. Noch deutlicher wird die grüne Ratsfraktion: Es bestehe der dringende Verdacht, daß die beteiligten Banken „nicht nur ihre Beratungspflicht über die angebotenen Transaktionen erheblich verletzt haben, sondern auch die Legitimation der beiden Geschäftsführer zum Abschluß solch hochriskanter Geschäfte nicht ausreichend geprüft haben“. Unklar ist auch, wieso die die Jahresabschlüsse prüfende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nicht auf die fragwürdigen Geschäftspraktiken aufmerksam wurde. Insgesamt wurden mehr als 50 Personen der Kontrollorgane über Jahre systematisch getäuscht.

Verdacht war erst im vergangenen Oktober geschöpft worden. Damals wurde dem Aufsichtsrat von der Wasserwerke-Geschäftsführung ein Geschäft vorgeschlagen, das nicht logisch erschien. Die mit der Aufklärung beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft scheiterte nach Angaben Jungs an der „fehlenden Kooperationsbereitschaft und der Behinderung des Prüfvorgangs durch die Geschäftsführung der KWL“. Zwei Monate später hatten die Ermittler immerhin soviel herausbekommen, daß die beiden Geschäftsführer sofort beurlaubt wurden.

Da einer der beiden auch Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe war, fürchtet Oberbürgermeister Jung weiteres Ungemach. Unabhängig von den laufenden Ermittlungen hat er daher die Aufsichtsratsvorsitzenden aller kommunalen Unternehmen angewiesen, besonderes Augenmerk auf ähnlich gelagerte Risiken und Finanzgeschäfte zu legen. Eines ist heute schon sicher, die finanziellen Auswirkungen der verlustreichen Spekulationen werden die Leipziger noch jahrelang beschäftigen.

Vor den irrwitzigen Finanzspekulationen ihrer Geschäftsführer waren die Kommunalen Wasserwerke Leipzig mit ihren 580 Beschäftigten ein Unternehmen, das jährlich rund 20 Millionen Euro Überschuß erzielte. Jetzt wird das ohnehin schon mit rund 700 Millionen Euro verschuldete Leipzig dauerhaft sparen müssen – voraussichtlich auch beim Nahverkehr, der bisher aus dem Wasserwerke-Überschuß subventioniert wurde. Während die Staatsanwaltschaft Ex-Geschäftsführer Heininger wegen akuter Flucht- und Verdunklungsgefahr verhaften ließ, war sein Kompagnon bei JF-Redaktionsschluß noch immer auf freiem Fuß.

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