© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Frisch gepresst

Reizthema. Selten schafft es ein Buch, ursächlich für einen politischen Skandal zu sein. Die 2002 noch in der Edition Antaios erschienene Arbeit des Bielefelder Historikers und Slawisten Johannes Rogalla von Bieberstein kann diese Wirkung für sich beanspruchen. Denn der CDU-Politiker Martin Hohmann bezog sich in seiner als antisemitisch kritisierten Rede auf einige Thesen des Werks mit dem Reiztitel „Jüdischer Bolschewismus. Mythos & Realität“ – und wurde Opfer einer grotesken Politkampagne, die sich am Ende sogar auf von Bieberstein ausweitete. Die erweiterte und aktualisierte zweite Auflage ist nun im Ares Verlag (Graz 2009, gebunden, 312 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro) erschienen. Dabei bekräftigt von Bieberstein die große Rolle, die Juden bei der bolschewistischen Revolution in Rußland, Ungarn oder Bayern 1917 bis 1919 spielten und welchen großen Einfluß sie auf die Kommunistische Internationale hatten – zumindest bis zur Stalin-Zeit. Mit höchster wissenschaftlicher Akkuratesse belegt er auch, daß aus der Hoffnung vieler Juden, sich in der neuen Gesellschaft des Sozialismus endlich aus der ewigen judenfeindlichen Unterdrückung zu emanzipieren, der Antisemitismus oft sogar noch befeuert wurde. Letztlich bewahrheitete sich die böse Prophezeiung eines prominenten russischen Rabbiners, der früh beklagte: „Die Trotzkis machen die Revolution, aber die Bronsteins müssen dafür zahlen“, womit er auf den sozialistischen Kampfnamen des Revolutionärs und seinen jüdischen Familiennamen abhob.

Besatzer in Polen. Der Titel einer von Jacek Andrzej Mlynarczyk, beschäftigt am Deutschen Historischen Institut in Warschau und 2007 hervorgetreten mit einer Untersuchung über den „Judenmord in Zentralpolen“, herausgegebenen Aufsatzsammlung verspricht mehr, als der Inhalt zu halten vermag. Denn „Polen unter deutscher und sowjetischer Besatzung 1939–1945“ (Fibre Verlag, Osnabrück 2009, broschiert, 544 Seiten, 35 Euro) enthält tatsächlich überwiegend nur Beiträge über die deutsche Besatzung. Damit bleibt die zweijährige sowjetische Gewaltherrschaft in Ostpolen, in die bisher vor allem Bogdan Musial erste Einblicke vermittelte, weiter ein Forschungsdesiderat. Die beiden Aufsätze über Stalins Wirtschaftspolitik in den ihm durch den Vertrag vom 23. August 1939 zugefallenen, nur teilweise polnisch besiedelten Gebieten oder die Skizze zur polnischen Untergrundbewegung „unter sowjetischer Besatzung 1939–1941“ können das Ungleichgewicht sowenig beheben wie die verdienstvolle, gleichwohl eher tastende Untersuchung des russischen Historikers Aleksandr Gur’ianov zu der von Massenverhaftungen, Deportationen und Zwangsumsiedlungen geprägten „sowjetischen Repressionspolitik in den polnischen Ostgebieten“.

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