© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Sinndeuter zwischen den Welten
Die Gedankenwelt des Konservativen Revolutionärs Edgar Julius Jung in ein Replik und Anlayse
Wolfgang Saur

Trotz oder wegen ihrer politisch-ideologischen Verwerfungen fasziniert die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts intellektuell. Ein hervorragender Exponent und rechtskonservativer Protagonist dieser Periode war Edgar Julius Jung (1894–1934). Zunächst Kriegsteilnehmer, dann Freikorpskämpfer, stieg der hochbegabte und scharfsinnige Analytiker seit 1924 zum prominenten Publizisten auf, zum jungkonservativen Systematiker gar. Seine Biographie und sein Werk erschließen uns somit wesentlich die Jahre vor Hitlers Diktatur.

Jungs Gedankenreichtum dokumentiert den internen Pluralismus der Konservativen Revolution so gut wie seinen eigenen Positionswandel zwischen 1925 und 1934: vom Neuen Nationalismus hin zur Reichsidee, vom kritischen Wohlwollen gegenüber dem Faschismus hin zur schroffen Ablehnung. Suchte er in der Endphase Weimars durch Kooperation mit Papen und Schleicher die Ereignisse in seinem Sinn zu steuern, mißglückte letztendlich der Versuch, die Vizekanzlei zum Widerstandskern auszubauen. Im Umfeld des Röhm-Putsches wurden diese „Konservativen gegen Hitler“ verhaftet, Jung am 30. Juni 1934 erschossen.

Die Historiker nach 1945 interessierten sich für Jung, doch blieb die Forschungslage dürftig. Natürlich fand er in Armin Mohlers „Handbuch“ (1950) rege Aufmerksamkeit, zumal als Reichsdenker; seine Christlichkeit und sein religiöser Aufbruch indes waren wenig kompatibel mit Mohlers nietzscheanischem Konzept. Neben biographischen Recherchen (Graß, Forschbach) versuchten nur zwei Arbeiten (Jeschke, Jahnke) 1971 und 1998 eine systematische Erschließung von Jungs Werk. Dessen „Herrschaft der Minderwertigen“, zumal in der zweiten Auflage von 1929/30, bot als Riesenwälzer tatsächlich eine „konservative Enzyklopädie“ (K. Weißmann) und stellt heute eine nicht geringe Herausforderung an den Interpreten dar.

So überwand weder Jeschke noch Jahnke die methodischen Schwierigkeiten des Gegenstands. Beide scheiterten zumal am philosophischen Kerngehalt seines Weltbilds. Schließlich hatte Jung nicht nur sämtliche Themen, gesellschaftlichen Teilsysteme und politischen Zeitfragen behandelt, sondern seine Gesamtschau einer metaphysischen Synthese integriert, die im spirituellen Motiv einer Urtradition wurzelt. All das neu zu entdecken, verhinderte die lange Absenz seiner Schriften. Immerhin wurde 1991 die „Herrschaft der Minderwertigen“ neu aufgelegt; als weltanschaulicher Brocken erscheint sie zum Einstieg in Jungs Gedankenwelt freilich wenig geeignet.

Im Jahr 2009 hat uns der 75. Todestag Jungs nun drei Publikationen beschert, die eine neue Grundlage schaffen. Die idealistischen Kleinverlage Superbia (Leipzig) und Regin (Kiel), die beide religionsphilosophische Impulse mit historisch-politischen Akzenten verbinden, haben zwei Quellenbände und eine erschöpfende Deutung vorgelegt.

Superbia eröffnete seine „Reihe Konservative Revolution“ 2007 mit der verdienstvollen Jung-Ausgabe „Sinndeutung der deutschen Revolution und andere Schriften“. Der Band vereint neben der genannten Schrift (1933) und der legendären „Marburger Rede“ (1934), die den späten Widerstand pointiert, 14 weitere Aufsätze (1927–34) zu einer repräsentativen Sammlung. Diese bezeugt das Themenspektrum des Autors (über Führertum, den Zerfall des Christentums, die Bedeutung des Faschismus in Europa, die Volkstumslehre oder Jungs Auffassung der Konservativen Revolu-tion) wie seinen Gesinnungswandel in diesen Jahren.

Der Band, dessen kluge Einleitung und Bibliographie zum Thema hinführen, bietet eine vorzügliche Auseinandersetzung mit Jungs Denken. Ergänzt wird er jetzt durch die Neuausgabe des „Föderalismus aus Weltanschauung“ (1931). Sie bringt seine Überlegungen zur Reichsidee, sein föderalistisches Konzept und im zweiten Teil die politisch-juristische Auseinandersetzung mit der Verfassungslage samt seinem Beitrag zur Reichsreform und der Preußen-Kontroverse.

Regen die vorliegenden Bände zur Neubeschäftigung mit dem Denker Jung aus dessen Texten an, offeriert Regin endlich seine erschöpfende Systematisierung. Der vielversprechende Nachwuchshistoriker Sebastian Maaß bietet vom Stand bisheriger Forschung und neuer Archivaliensichtung aus eine überzeugende Gesamtdeutung. Neben dem systematischen Hauptteil zeichnet diese Jungs Vita nach und teilt im Anhang seine Marburger Rede mit. Zunächst würdigt sie jedoch die ideologischen Voraussetzungen und philosophischen Köpfe, die Jung nachhaltig beeinflußten. Themen wie der Nietzscheanismus, das „neue Mittelalter“, Othmar Spanns Universalismus oder Sorels sozialer Mythos schaffen so einen analytischen Rahmen für die Hauptthemen Jungs um 1930.

Diese werden anschließend in glücklicher Proportion geboten. So gelingt dem Autor eine selten griffige Studie, die – für Erstinteressierte bestens geeignet – auch für den Fachmann noch einige Winke parat hat: ein Wurf also, der aus der Flut der oftmals ungenießbaren akademischen Produktion als leuchtendes Gegenbeispiel herausragt. Zu Recht beglaubigt Karlheinz Weißmann die Leistung durch sein Vorwort.

„Charakteristisch für Jung und die gesamte Konservative Revolution“, schreibt Maaß, „ist das hohe Maß an weltanschaulicher Komplexität.“ Das nicht geringe Verdienst seiner besonnenen Monographie ist, diese Vielschichtigkeit faßlich analysiert und lapidar gestaltet zu haben. Das gelungene literarische Ergebnis weckt Neugier auf seine Arbeit zu Moeller van den Brucks Kreis, die schon im Frühsommer nachfolgen soll.

Sebastian Maaß: Die andere deutsche Revolution. Edgar Julius Jung und die metaphysischen Grundlagen der Konservativen Revolution. Regin Verlag, Kile 2009, broschiert, 158 Seiten, 14,95 Euro

Edgar Julius Jung: Föderalismus aus Weltanschauung. Bearbeitet und herausgegeben von Detlef Weigt. Superbia Verlag, Leipzig 2009 broschiert, 100 Seiten, 12,95 Euro

Edgar Julius Jung: Sinndeutung der deutschen Revolution und andere Schriften. Bearbeitet und herausgegeben von Detlef Weigt. Superbia Verlag, Leipzig 2007, broschiert, 255 Seiten, 16,95 Euro

Foto: Edgar Julius Jung, um 1930: Charakteristisch ist das hohe Maß an weltanschaulicher Komplexität

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